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For Ann (rising)

For Ann (rising)

Als ein „trompe l’oreille“, eine Ohrentäuschung, ist James Tenneys Komposition For Ann (rising) wahrzunehmen. Trompe l’oreille, diesen Begriff verwendete einst angeblich Edgar Varèse in Anlehnung an den bekannten französischen Terminus „trompe l’oeuil“, also die optische Täuschung. Das Raffinierte an James Tenneys Stück ist genau dieses Paradoxon, das zur Täuschung führt: For Ann (rising) klingt zwar wie eine permanent himmelwärts strebende Karussellfahrt, ist aber in ihrer inneren Struktur die vielleicht statischste aller Kompositionen. Seine akustische Täuschung gewinnt Tenney für sein Stück, indem er langsame Glissandi von unterhalb des hörbaren bis oberhalb des hörbaren Frequenzbereichs in einem gleichbleibenden Intervall einer Sext, in einem immer gleich bleibenden zeitlichen Abstand des Einsetzens übereinanderschichtet. Was in seiner Beschreibung nun extrem statisch klingt, hört sich eben dennoch an, als würde das Karussell sich nicht nur drehen, sondern sich auch noch permanent in die Höhe schrauben.

Auch wenn damit nun eigentlich die Pointe der Komposition vorweggenommen und sogar noch erklärt ist, tut das bei Werken von James Tenney der Spannung keinen Abbruch. Es ist charakteristisch für Tenney, dass die Überraschung seiner Musik nicht darin liegt, welche Geschichte erzählt wird, sondern wie sie erzählt wird. Denn das, wovon seine Musik und ihre Erzählung immer und immer wieder handelt, ist das Hören selbst. Keine komponierte Entwicklung, keine Materialexposition, keine Verarbeitungen oder Dekonstruktionen: „Ich bin ein unverbesserlicher Phänomenologe“, sagte Tenney. Und das heißt eben auch: Kompositorische Kraftakte und ideologisierende Schlussfolgerungen liegen ihm fern. In seiner Musik und auch in seinem musiktheoretischen Werk versucht er, ein Instrumentarium zu schaffen, mit dem Musik gehört oder auch beschrieben werden kann, ohne bezüglich Ausnahmen oder Abweichungen von einer fiktiven Norm sich rechtfertigen zu müssen. Es geht nicht um das Behaupten angeblicher Errungenschaften, sondern um die Präzision des Seins und des Beobachtens. 

Nicht mit Hilfe von Klängen etwas ausdrücken zu wollen, sondern Klänge selbst eine Geschichte evozieren zu lassen, ist in diesem Fall die Kunst. Das eigene Hören und seine physiologischen wie psychologischen Grenzregionen sind die Erzählung dieser paradoxen Tenney’schen Karussellfahrt.

Christian Scheib
Audiodoku
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James Tenney | For Ann © ORF musikprotokoll, 2014

James Tenney

James Tenney
© Carolee Schneemann
James Tenney

James Tenney was born in 1934 in Silver City, New Mexico, and grew up in Arizona and Colorado, where he received his early training as a pianist and composer. He attended the University of Denver, the Juilliard School of Music, Bennington College (Bachelor’s degree 1958), and the University of Illinois (Master’s degree 1961). His teachers and mentors have included Eduard Steuermann, Chou Wen-Chung, Lionel Nowak, Carl Ruggles, Lejaren Hiller, Kenneth Gaburo, Edgard Varèse, Harry Partch, and John Cage. A performer as well as a composer and theorist, Tenney was co-founder and conductor of the Tone Roads Chamber Ensemble in New York City (1963-70). He was a pioneer in the field of electronic and computer music, working with Max Mathews and others at the Bell Telephone Laboratories in the early 1960s to develop programs for computer sound-generation and composition. He has written works for a variety of media, both instrumental and electronic, many of them using alternative tuning systems. Tenney returned to the California Institute of the Arts in the fall of 2000 to take the Roy E. Disney Family Chair in Musical Composition, having taught there at its beginnings in the early 1970s. He has also been on the faculties of at the Polytechnic Institute of Brooklyn, the University of California at Santa Cruz and at York University in Toronto where he was named Distinguished Research Professor in 1994.

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