für Streichquartett (2011-2016)
Klänge evozieren Vorstellungen von Bewegungen und Empfindungen. In der Umkehrung rufen diese wiederum vorgestellte Klänge in Erinnerung. Diese wahrnehmungsbezogene Verbindung untersuchen die drei Quartette jeweils exemplarisch an je einer alltäglichen „Tätigkeit“ oder Geste (den Titel gebenden Verben), die direkt mit starken körperlichen Empfindungen gekoppelt ist. Die mimetische Relation (Bewegung – Klang, Klangqualität – Empfindung) ist nach musikalischen Kriterien bearbeitet worden. Die entstandene Musik wird wiederum Empfindungen auslösen. Im besten Fall kennen wir diese so, wie sie uns in den neuen Bezügen anrühren, nicht.
Zugespitzt werden die Verbindungen hier durch den Bezug auf für mich zentrale bildnerische Werke, die den Stücken als Material-Matrix zugrunde liegen: Tizians Schindung des Marsyas, Grünewalds Kreuzigung/Isenheimer Altar sowie eine fiktive Mischung aus verschiedenen Werken von Francis Bacon.
Alle Klänge, die in den Quartetten aus den titelgebenden Verben beziehungsweise den angelagerten Vorstellungen und Empfindungen entwickelt worden sind, sind aber auch idiomatische Klangformen bzw. Spielweisen der Streichinstrumente. Ich habe sie direkt aus der physischen Behandlung bzw. den materiellen Eigenschaften der Instrumente gewonnen. Durch die Arbeit an diesen Spielformen (und somit Klangqualitäten) wird auch das Instrumentarium einer stückspezifischen Neubestimmung unterzogen.
Der Bogen und die Saite als die Relation zwischen Haut und darunterliegendem Gewebe, der Bogen als Schneidewerkzeug, der Bogen als Greifwerkzeug samt der wegreißenden Geste: Von hier aus wird das Streichquartett untersucht.
Streichen erzeugt, wenn es als Schneiden betrachtet wird, andere Kontexte, klingt anders, geht andere Wege in der Bearbeitung. Das Streichquartett als „Schnitt-Raum“, als „Schnitt-Menge“, die Flageoletts als dünne, beinahe physiologische Schnitte, harmonische Konstellationen als Schnitte durch den Frequenzraum: Alle musikalischen Qualitäten und Eigenschaften wurden unter diesem „Magneten“ neu gelesen, neu weitergearbeitet. Das führt hoffentlich dazu, dass im Umkehrschluss unsere abgespeicherten Erfahrungen des Schneidens und Reißens von Haut und Gewebeformen – alle Taktilitäten – aufgerufen und gleichzeitig verändert werden.
Alltägliche menschliche Erfahrungen zu transformieren ist in meinen Augen ein vordringliches Ziel der Kunst, das sie auf ganz spezifische Weise zu leisten versucht. Das Erleben wird im besten Fall einzigartig, jenseits der „Labels“ der Erfahrung, aber immer mit Verbindung zu ihr.
So ist vielleicht eine Erweiterung des Empfindens, des Sich-Erlebens in der Umwelt möglich – am Ende vielleicht sogar des Erlebens dessen, was man das Dasein nennen könnte. Natürlich ist das eine Hypothese, die niemals einzulösen ist. Aber sie leitet beständig die Arbeit an der Welt, den Klängen, dem Hören und Empfinden – und an mir: als Hoffnung und Klippe des Scheiterns. Sie ist die Aufforderung, weiterzumachen.