Susanna Niedermayr: Die erste Version von ROTOЯ, für die Du bereits mit Patrik Lechner zusammengearbeitet hast, entstand für den Fulldome der Société des arts technologiques in Montreal. Bei TORSO fand die Rotation auf der vertikalen Ebene statt, hier passiert sie nun auf der horizontalen Ebene, wobei das projizierte Video mit der Drehgeschwindigkeit von ROTOЯ gekoppelt werden kann. Beim musikprotokoll werdet ihr eine Weiterentwicklung des Projektes präsentieren, die ohne Fulldome auskommt …
Peter Kutin: Auf dem Rückflug von Montreal haben Patrik und ich darüber gesprochen, dass wir versuchen sollten direkt auf den Rotor zu projizieren. Letztendlich gelang es Patrik, ein 3D Modell des Rotors exakt über diesen selbst zu stülpen und deckungsgleich mitrotieren zu lassen. So verschmilzt nun das reale Objekt mit seinem synthetischen Abbild. Zusammen mit unserem Ingenieur Mathias Lenz haben wir eine Technik entwickelt, die es uns ermöglicht, das Objekt und das darauf-projizierte Bild in der Umdrehungszahl eben deckungsgleich fahren zu lassen oder aber auch davon zu lösen, d.h. wir können beide Ebenen unterschiedlichen Geschwindigkeiten aussetzen. Zum Beispiel kann sich das Objekt sehr schnell drehen, die Projektion aber beinahe stillstehen. Dadurch entstehen die menschlichen Sinne täuschende Patterns, die hologrammartig erscheinen und einen ästhetisch verführerischen Korridor öffnen. Dass die Rotation des Objektes, das Video und auch der Klang eben keiner einheitlichen Synchronität folgen, wurde bei dieser Arbeit immer zentraler. Die entscheidenden Momente passieren dann, wenn unterschiedliche Geschwindigkeiten scheinbar zu einer gemeinsamen Resonanz finden. In diesem Zusammenhang ist auch irgendwann der Begriff einer multimedialen Polyrhythmik aufgetaucht – Medien, die sich in anderen Zeitfeldern bewegen.
SN: Im Zuge der Arbeit an ROTOЯ hast du dich mit dem Konzept der Heterochronizität von Michel Foucault auseinandergesetzt …
PK: Genau, dieser von Foucault geprägte Begriff ist im Zuge der Ausarbeitung immer mehr zu einer Art gedanklichem Zentrum geworden. Diese Heterochronizität ist ein eher komplexes und umfassendes Thema, das hier zu weit führen würde. Aber ganz grundsätzlich ging es mir vor allem darum, die Mehrdimensionalität von Zeit ins Blickfeld zu rücken. Als Beispiel verweise ich hier gerne auf ein Zitat der deutschen Soziologin Elisabeth Lenk, in dem sie beschreibt, dass Zeit als eine Strecke von A nach B betrachtet werden kann. Wenn man das tut, dann scheint die Zukunft von der Vergangenheit sehr weit entfernt zu sein. Wird diese Strecke aber, ähnlich wie das Bein eines Stativs, einfach zusammengeschoben, dann liegen die „Wände“ zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft plötzlich ganz nah beieinander; berühren sich, sodass man durch sie vielleicht sogar hindurchsehen kann. Das Hinterfragen von Erinnerung und Vision hat sich immer mehr zu einem wesentlichen Element von ROTOЯ entwickelt. Eine Bewegung symbolisiert stets auch das Verstreichen von Zeit und Musik ist ja eine Zeitkunst per se. Das Bild oder Video kann sehr individuelle Assoziationen auslösen. Wenn nun Objekt, Klang und Video durch ihr Zusammenspiel sowohl Zukünftiges als auch Vergangenes „antriggern“, dann passiert etwas, das sich nur schwer beschreiben lässt, vielleicht etwas Metaphysisches oder Transzendentes – in jedem Fall aber wird es ab dort spannend.