musikprotokoll Slice 2020
opus mors I-IV
opus mors, Jakob Kirkegaard
opus mors I-IV

Hartwig Vens: opus mors ist ein Werk über vier Stadien, in denen sich der tote menschliche Körper befindet: Leichenhalle, Autopsie, Einäscherung, Verwesung. Warum setzen Sie sich mit dem Thema Tod auseinander?

Jacob Kirkegaard: Wir müssen alle sterben und sprechen nicht viel darüber. Wenn wir uns mit dem Tod auseinandersetzen, dann tun wir es, wenn jemand gestorben ist und bald danach nicht mehr. Ich wollte ein Stück kreieren, bei dem man mit dem Gehör die verschiedenen Prozesse, Zustände und Räume, denen der tote menschliche Körper ausgesetzt ist, akustisch nachvollziehen kann.

HV: Diese vier Stationen klingen sehr sachlich: Leichenhalle, Autopsie, Einäscherung, Verwesung. Warum diese vier Kapitel?

JK: Das Leichenhaus beispielsweise ist ein Ort, wo sich die meisten von uns post mortem befinden werden, gleichzeitig fühlt es sich wie ein sehr fremder Ort an. Ich hatte eine Freundin, die gestorben ist. Gleich nach ihrem Tod lag sie im Leichenschauhaus, an diesem kalten Ort. Ich war dort und es war eine sehr ungewohnte, nie gekannte Atmosphäre. Ich fühlte den Impuls, mit meinen Mikrofonen diesen Raum, dieses Ambiente aufzunehmen und als Zustand akustisch wahrzunehmen. Das war der Beginn.

 

HV: Sie haben alle Klänge, die Sie in Ihrem Stück verwenden, vor Ort aufgenommen. Sie waren beispielsweise auch bei einer Autopsie dabei.

JK: Das stimmt. Und es sind Klänge, die kaum jemand von uns jemals gehört hat. „Nie gehörte Klänge“, das hat Klangkünstler und Komponisten immer schon fasziniert. Ich arbeite in opus mors mit Klängen, Geräuschen und Klangfarben, die ich vorher auch nicht kannte.

Wir sprechen von unseren Organen oft in einer abstrakten Art, wir sprechen vom Herz, als hätte es etwas mit der Liebe zu tun. Oder davon, dass jemand zu gehirnlastig agiert. Oder dass man ein Bauchgefühl hat. Wir benutzen viele solche Sprachbilder. Oder man sagt im übertragenen Sinne: Wir müssen unsere Herzen öffnen, also lieben. In meinem Stück hört man, wie es konkret klingt, wenn das Herz mit einem Messer geöffnet wird.

 

HV: Da muten Sie dem Publikum einiges zu.

JK: Wenn ich erkläre, worum es geht, welches Klangmarerial ich verwende, und wo ich es aufgenommen habe, dann ist die erste Reaktion immer „Oh, wie hart, wie schrecklich.“ Oder: „Das kann ich mir nicht anhören.“ Aber wenn die Leute sich dann darauf einlassen, dann verändert das die Wahrnehmung gänzlich.

 

HV: Das liegt vielleicht auch daran, dass man sich irgendwie damit identifizieren kann. Denn irgendwann wird MEIN Körper das alles durchmachen. Das kann jede*r Hörer*in nachvollziehen. Wie geht es Ihnen selbst, wenn Sie Ihr eigenes Stück in diesen vier Kapiteln durchleben?

JK: Ich war ganz nah dran beim Aufnehmen, mein Mikrofon war einen Zentimeter von der Leiche entfernt. Danach habe ich alle Aufnahmen editiert. Ich fand es immer mehr spannend als unheimlich. Mir sind Aufnahmen, die konkret, sachlich und detailgenau sind, wichtig. Ich habe es an mir erlebt, aber auch bei Kollegen und beim Publikum, dass sich beim Hören bald der Moment einstellt, wo sich diese Klänge nicht mehr fremd oder entfremdet anfühlen. Der Moment, wo man sich darauf einstellt und es unvoreingenommen erleben kann, ohne gedankliche Barrieren.

 

HV: Sie beschreiben Ihre Arbeit mit Field Recordings als „greifbare Aspekte von ungreifbaren Themen aufzunehmen oder hörbar zu machen“. Sie haben in dieser Art auch schon mit schmelzendem Eis in der Arktis und mit Radioaktivität in Fukushima gearbeitet.

JK: Ich beschäftigte mich immer wieder mit Themen, über die es schwierig zu reden ist.  Der pure Sound, ohne Worte, ohne Bilder ist ein enormes Transportmittel. Wenn du im Konzert sitzt und die Aufnahmen aus dem Leichenschauhaus hörst, dann bist du plötzlich dort. Durch den Sound. Dann liegst du dort. Dann denkst du über den Tod nach. Und das ist auch wichtig, wir müssen uns an den Tod erinnern, damit wir nicht vergessen, dass wir auch leben sollen.

Hartwig Vens, Deutschlandfunk Kultur
Termine
Location
Dom im Berg
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