wenn es einen grund gibt, auf den sich meine musikalische sozialisierung stützt, dann gehört die gattung des klavierkonzertes sicherlich dazu. dank des plattenschrankes meines vaters waren die klavierkonzerte mozarts und beethovens gefühlt immer schon teil meines musikalischen horizonts. an klavierkonzerten habe ich mich dann auch durch die musikgeschichte gehangelt und von dem musikgeschmack meines vaters emanzipiert. prokoffiefs drittes fand er schrecklich, die beiden ersten von bartók, die ich bis heute zutiefst verehre, mochte er so gar nicht. und über das klavierkonzert von ligeti haben wir uns richtig gestritten.
so ist es auch folgerichtig, dass sich unter meinen kompositorischen jugendsünden immerhin drei klavierkonzerte befinden. ich habe später, während meines ersten unterrichts bei michael reudenbach, einen weiteren versuch unternommen, ein klavierkonzert zu schreiben – das aber nach hitzigsten debatten (reudenbach fand, es gehe nicht an „dass 80 mann orchester für einen (den solisten) musikalisch den boden aufwischten“) wieder und wieder im papierkorb landete. geblieben ist mir aber immer die faszination für klavierkonzerte: wenn der flügel vor das orchester gerollt wird, der deckel verheißungsvoll aufgeklappt ... und dann dem pianisten zuzusehen. für das klavier zu schreiben, hat für mich immer eine sehr haptische konnotation.
als ich begonnen habe, über dieses klavierkonzert nachzudenken, war von vorne herein klar, dass es ein „richtiges“ konzert werden soll – und ich wollte auf eine klassische anlage mit vier sätzen bezug nehmen. außerdem war es mir wichtig, nach formal eher offener konzipierten werken, die sich auf lyrische vorlagen bezogen, mit dem klavierkonzert wieder eher einen weg strikter formaler vorplanung zu gehen.
den musikalischen ausgangspunkt habe ich gefunden in rilke-klavierliedern, die ich 2013 geschrieben habe, die in ihrer vierteiligen anlage und jeweiligem temperament den vier sätzen meines damals noch imaginierten klavierkonzertes sehr nahe kamen. außerdem habe ich dort endlich zu einer art und weise, für das klavier zu schreiben, gefunden, die sich sehr „erwachsen“ anfühlte. eine weitere inspirationsquelle war mir ein neuerlicher ausflug in die fraktalmathematik, der mir erlaubt hat, eine großform zu entwerfen, dank derer ich die vier unterschiedlichen sätze nun alternierend wie als perspektivwechsel ineinandergeschoben und durch schleifenbildungen miteinander verbunden habe. außerdem steuern verschiedene fraktale algorithmen die generationsbildung des materials beim wiederberühren und fortschreiten.
übersetzen wir die wissenschaftlich klingenden blumen in musikalisches denken, so lässt sich feststellen, dass wir bei einer etwas abstrakteren form motivischer arbeit in verbindung mit einer entwickelnden variation auskommen.
angedacht hatte ich zunächst, das konzert „furia“ zu nennen – bezugnehmend auf hegels „furie des verschwindens“. allerdings möchte ich (in hegels sinne) in meinem konzert kein negatives tun sehen. es ist, in aller freiheit, der lustvolle umgang mit einer historisch tradierten form, die zu zerbrechen ich zu keinem zeitpunkt ernsthaft erwogen habe. vielleicht liegt das auch daran, dass ich den mehr oder minder aktuellen ästhetischen debatten unter einigen meiner deutschen kollegen nicht wirklich folgen mag oder kann. die annahme, dass ein ästhetischer (musikalischer) ansatz „abgenutzt“ sei, dass man wieder und wieder „unverbrauchte“ klänge finden müsse, halte ich mittlerweile für das paradebeispiel eines abgenutzten klischees.
musik ist eine sinnkunst, die sinnlich erfahrbar sein soll und möchte. und mag ein klavierkonzert eine noch so traditionelle gattung sein, musikalisch ist sie mir (noch immer) eine der schönsten und lustvollsten spielwiesen – zuhörender- und auch (wie ich jetzt wieder feststellen durfte) schreibenderweise.
die vier sätze gehen nahtlos ineinander über beziehungsweise entstehen sie durch einen schrittweisen wechsel der perspektive, dennoch werden bestimmte ausprägungen deutlich: der erste satz breitet sich in betrachtungen über die linie aus, der zweite ist von versponnenen gewächsen geprägt, die wie mandelbrotmengen in alle möglichen richtungen winden. der dritte satz hatte mir in der ersten fassung einige schwierigkeiten bereitet und ich war nicht recht zufrieden. und so war das angebot, eine neufassung für das musikprotokoll zu schreiben, ein mir sehr willkommener anlass, nicht nur in den tiefen der partitur generell revidierend einzugreifen, sondern auch einen neuen dritten satz zu schreiben, der das ihm zugedachte musikalische material so weit auseinanderspreizt, dass eine nachdrückliche charakterveränderung entsteht und ein exkurs (gar intermezzo?), der auch dem orchester raum gibt, über einige takte ohne den solisten auszuatmen, die energien neu zu bündeln und fahrt aufzunehmen – bis unbemerkt dann der letzte satz beginnt: ein toccatoid-beschwingtes finale, das sich zunehmend zuspitzt. der solist ist und bleibt immer dreh- und angelpunkt des musikalischen geschehens, dessen part möchte ebenso sinnlich, wie auch in sich kohärent und fasslich sein.
was ich beim arbeiten an der neufassung sehr beglückend und inspirierend empfunden habe, dass ich mit joonas ahonen ein sehr anregendes ping-pong über den klavierpart und dessen rolle im orchester habe spielen können: so ist mein klavierkonzert ein ihm hoffentlich gut sitzender maßanzug geworden, der seiner spielfreude, virtuosität und sinnlichkeit und seinem musikalischen ausdruck eine bühne bereitet!
das nun zum teil schlanker instrumentierte orchester bleibt an der seite des solisten: begleitet, kommentiert, führt weiter, bildet einen resonanzraum, in den das klavier ausstrahlt, manchmal eher solistisch ziseliert, manchmal mit wucht und kraft und am ende gibt es einen „richtigen“ klavierkonzert-schluss – allerdings wischt es zu keinem zeitpunkt den boden auf.