Die verborgene Umwelt
- Das Höhlengefühl -
Wir sind alle miteinander verbunden, doch auf einer tieferen Ebene leben wir und erleben wir die Ereignisse auf demselben Planeten in unterschiedlicher Art und Weise.
Wie Andy Clark und Donna Haraway argumentierten, sind wir alle auf natürliche Art geborene Cyborgs, was bedeutet, dass wir dazu fähig sind, Veränderungen herbeizuführen und Erfindungen zu machen, indem wir die Technologie als Mittel einsetzen, um die verborgene Welt unseres Verstandes und unserer Zukunft zu erforschen und zur Entfaltung zu bringen. Es wird angenommen, dass der Einsatz der menschlichen Stimme (beispielsweise zum Singen, Skandieren oder Gurgeln) eine Heilungsmethode durch die Beanspruchung des Vagus (des Trauma-Nervs schlechthin) sein kann. Beim Reflektieren über das Trauma kam mir dieses von allen Menschen mehr oder weniger geteilte Gefühl in den Sinn, nachdem die alten Weltanschauungen nicht mehr tragbar seien; stattdessen erfinden wir Formen der Selbstwahrnehmung und der Kommunikation immer wieder neu, völlig auf uns selbst gestellt. Während die Neuerfindung einen stabilen Bezugspunkt aufweist, befinden wir uns in einer schizoiden Dichotomie zwischen der alten und der neuen Umwelt.
Die Auseinandersetzung mit diesem Gefühl rief mir zwei Konzepte in Erinnerung, die ich in Leo Frobenius’ Paideuma entdeckt hatte: das „Weltengefühl“ und das „Höhlengefühl“, womit die Möglichkeiten der Weltauffassung als ein Lebensgefühl der „Weltweite“ bzw. der „Welthöhle“ bezeichnet werden.
Das „Höhlengefühl“ sei durch die „Enge des Bewusstseins, ständige Beklommenheit, Unfreiheit und deshalb Fatalismus, ununterbrochenen Druck“ gekennzeichnet, und dieser ununterbrochene Druck führe von Zeit zu Zeit zu „in der Form des Fanatismus [sich] entladenden Explosionen“. Hingegen drängten „Sehnsucht und Unendlichkeitsempfindung nach aufbauenden Taten“; „überzeugender Schaffensdrang und selbstverständlicher Freiheitsjubel“ seien Ausdrucksformen der „Weltweite“. Beide Grundanschauungen seien „nichts als Äußerungen der Seelenart“ – sogenannte „innere Klänge“, die wir als Teil des Bewusstseins und Unterbewusstseins wahrnehmen, ähnlich einer inneren Stimme, aber dennoch unterschiedlich. Hier befinden wir uns in der Dualität Seelenraum-Lebensraum. Ein Volk, dessen Seele die Dimension des „Höhlengefühls“ besitzt, könne „wohl ein Jahrtausend und auch mehr von einem andern beherrscht und während dieser Zeit über die Enge seines seelischen Daseins hinweggetäuscht“ werden; es könne aber „in Wahrheit selbst niemals andere beherrschen, ohne sie zu zerstören“. Nur das „Weitegefühl“ könne zu „gesunder Bildung, zur Ausbildung eines sich dehnenden Kulturorganismus, zur Entwicklung der Arbeit, die ihren Lohn in sich selbst findet, zur Tat im Sinne des Aufbaus“ führen.
Diese verborgene Umwelt bevölkern folglich Ungeheuer, Engel, Schatten, Hoffnungen und Mysterien – die umfassende Vielseitigkeit des Denkens in Schallgeschwindigkeit.