Wenn in dringen das live spielende Cembalo zu Beginn in ein Wechselspiel mit einem aufgezeichneten Material tritt, so ist das ein Vorgang, der mich in den letzten Jahren immer mehr beschäftigt – der Prozess der Entfremdung.
Christoph Henning definiert in seinem Buch Theorien der Entfremdung den Begriff der Entfremdung als ein gestörtes Von-innen-nach-außen-Treten: „Denn das Von-innen-nach-außen-Treten ist noch keine Entfremdung. Im Normalfall gibt es wieder eine Aneignung, eine Rück-Verinnerlichung. Kommt beides auf die rechte Weise zusammen, kann man von einer gelingenden Entwicklung sprechen, denn das Subjekt, das sich auf diese Weise geäußert und seine Äußerung dann wieder angeeignet hat, ist nicht mehr dasselbe wie vorher.“
Später schreibt er dann: „Entfremdung setzt ein, wenn die Beziehung zu diesem selbst Gesetzten nicht mehr intakt ist; wenn das, was eigentlich Bestandteil des identitären oder kulturellen Kreislaufs ist, nicht mehr als Teil des Eigenen erkennbar ist und folglich nicht mehr in dieser Weise materiell oder sinnhaft angeeignet werden kann.“
In dringen passiert das Wechselspiel von Mensch (live agierende Musikerin) und Maschine (Zuspielung) anfangs noch harmonisch. Zunehmend entfremdet sich dieser Prozess durch multiple Überlagerungen oder stetige Veränderungen der Zuspielgeschwindigkeiten. Diese Geschwindigkeitsveränderungen erzeugen glissandierende Klangverläufe, die auf einem Cembalo so eigentlich nicht mehr spielbar sind. Der Klangerzeuger entfremdet sich dabei selbst von seinem Klang, das Subjekt zunehmend vom Objekt.
dringen und andere in diesem Zeitraum von mir komponierte Stücke versuchen diese Entfremdungsprozesse klanglich und emotional erfahrbar zu machen.