making of – intimacy
Clemens Gadenstätter
making of – intimacy

Das Intime, unser subjektiv „innerstes“ Erleben, scheint nur uns allein zu gehören, wie kaum eine andere Erfahrung, die wir in unserem Leben machen. Gleichzeitig ist ein unfassbarer Ausverkauf der verschiedenen Formen von Intimität, wie sie als eine gesellschaftliche Norm zu entsprechen hat, im Rahmen etwa der Sozialen Medien oder den Formen von Gefühlspolitiken zu beobachten (von der Staatspolitik bis zu einer „Politik der Wahrnehmung“, die unser Erleben bewusst lenkt, meist zu vernebeln trachtet). Es wird uns eingetrichtert, wie unsere eigene Intimität und unsere Intimität als Verbindung zu anderen Personen, Gegenständen oder der Natur auszusehen hat, was wir erleben sollen und wie sich dieses Erleben anfühlen muss, um der „echten“/“wahren“ das heißt „geduldeten“ Intimität zu entsprechen. Wir haben etwa gelernt, den Schmerz eines Verlustes auf bestimmte Weise zu fühlen und dann auch geeignet auszudrücken, die Erfahrung der Zuneigung und Liebe oder die Begeisterung für die Natur …

Schablonen von Intimitäten liegen vorgefertigt vor uns und wir müssen uns ihrer bedienen, um im gesellschaftlichen Konventionsradius zu bleiben.

Wenn ich nun feststelle, dass mein innerstes Erleben „gemacht“, generalisiert und vorgeprägt ist, stelle ich mir zwangsläufig die Frage, wo denn dann mein Ich, meine Individualität, wo das Subjekt sich befindet, das mich als Ich empfinden lässt.

Unsere Intimität kann auch verstanden werden als intensivste Verwebung mit der Welt, mit dem Außen, mit einem Du. Untrennbar ins Ich aufgenommen, wird das Du, das Außen, zu einem Bestandteil von mir, so wie ich ein solcher dieses Dus bzw. des Außen-Seienden werde. Ich bin nicht getrennt von der Welt; Ich und Welt bilden in der gemeinsamen Erfahrung einen „Organismus“, der die Grenzen der Individuen zwar nicht aufhebt, aber doch füreinander durchlässig macht.

Making of – intimacy beschäftigt sich mit der Normierung der intimen Erfahrung, lässt sie als Klangformen in ihrer Vorgeformtheit und Schablonisierung durchsichtig werden. Zugleich arbeitet das Stück an der Spezifikation der Klangformen und -strukturen durch kompositorische Transformationen und unternimmt den Versuch, die normierten Empfindungen, die mit den überkommenen und zumeist ungefragt übernommenen Klanggestalten einhergehen, aufzulösen und durch eine gehobene, genau-jetzt-so-seiende Präsenz zu überführen.

Thematisiert werden die in klangliche Erscheinungen transformierten Erfahrungen unseres intimen Erlebens, Erfahrungen, die wir alle kennen, die jede und jeder von uns für sich selbst als „die Besonderen“ erlebt haben wird. Deren Formen und Erleben sind aber kulturell geprägt. Unsere Wahrnehmung und unser Erleben sind geprägt durch die Welt, in der wir leben: Wir lernen zu hören und das Gehörte entsprechend den geltenden Konventionen zu erleben. Die kompositorische Arbeit an der Vorgeformtheit unseres Erlebens bietet die Möglichkeit, eine einzigartige, unwiederbringliche intime Klang-Erfahrung zu kreieren. Klang-Erfahrungen, die sich einer Schubladisierung verweigern und sich nicht sofort einordnen lassen; deren Erfahrung uns selbst wiederum intim werden, gleichsam nackt vor ihnen sie als solche hören lässt.

Als eine kompositorisch grundlegend veränderte Form des Erlebens von (ehemals vorgefertigten) Klang- und Erlebnisschablonen in und durch grundlegend veränderte Kontextualisierungen kann dann die Erfahrung diese Klangstrukturen spezifisch und einzigartig werden lassen. Dieser Organismus, der durch das Stück, die Musiker:innen, die Zuhörer:innen und den Raum gebildet werden wird, lässt – so die Intention – die Grenzen des Erlebens durchlässig(er) werden und ermöglicht hoffentlich Erfahrungen jenseits der Norm.

Clemens Gadenstätter
Interpret/innen

Komposition: Clemens Gadenstätter
Soloflöte: Karl-Heinz Schütz

ORF RSO Wien
Dirigentin:
Marin Alsop

Kooperationen

Die Komposition von Clemens Gadenstätter ist eine Auftragskomposition des ORF musikprotokoll und Music Biennale Zagreb.

Termine
-
Location
Helmut List Halle
Konzert
Österreichische Erstaufführung
Dieses Werk gehört zu dem Projekt:
musikprotokoll 2023 | RSO Wien 2023