In einem Gespräch, das Björk Guðmundsdóttir 1996 mit Karlheinz Stockhausen für das Magazin „Dazed & Confused“ führte, fragte sie den Komponisten, warum er gleichmäßigen Rhythmen in der Kunstmusik nichts abgewinnen könne. Stockhausen wies in seiner Antwort darauf hin, dass er die Arbeit an minimalistischen repetitiven Strukturen gern der Tanzmusik überlasse und dafür mit seiner Musik Teil der Entwicklung der europäischen Musiksprache bleibe, die nun einmal von einfachen periodischen Rhythmen zu ametrischen und nicht-periodischen Rhythmen führe. In einem 1995 im Magazin „The Wire“ veröffentlichten Beitrag empfahl er Aphex Twin (aka Richard James) sogar, sich seine Musik anzuhören, „weil er dann sofort mit all diesen post–afrikanischen Repetitionen aufhören würde“. Er gab ihm weiters den Rat, Rhythmen abzuwandeln, zu verändern und keinesfalls zu wiederholen, wenn sie nicht bis zu einem gewissen Grad voneinander abwichen und keine Richtung in ihrer Variationsfolge erkennbar wäre. Richard James konterte, Stockhausen solle mehr Aphex Twin hören, „dann würde er aufhören, abstrakte Zufallspatterns zu produzieren, zu denen man nicht tanzen kann“.
Diese kontroversen Meinungen zweier Künstler, die als Pioniere in ihrem jeweiligen Genre gelten, machte mich neugierig, und ich begann mit irregulären Rhythmen zu experimentieren. Ich arbeitete mit verschiedenen auf 13 rhythmischen Einheiten beruhenden Dauernreihen, einschließlich einer von Messiaens Mode de valeurs et d’intensités inspirierten chromatischen Dauernreihe, sowie einigen anderen von mir erstellten Reihen, um zu sehen, ob sich damit ein Pattern entwerfen lässt, das als Puls empfunden wird, zu dem man tanzen kann. Ich entdeckte, dass man durch die Kombination komplex geschichteter Dauernreihen Beats kreieren kann, die zwar nicht vorhanden, aber deutlich zu spüren sind. Oder dass man durch den Einsatz von regelmäßigen Rhythmen vor unregelmäßigen den Verstand dazu bringen kann, einen Puls selbst dann wahrzunehmen, wenn sich keine Regelmäßigkeiten aufspüren lassen. Innerhalb kürzester Zeit erkannte ich, dass es tatsächlich keiner minimalistischen, repetitiven Strukturen bedarf, weil Dance Music auf unterschiedlichste Weise auch aus komplexen Patterns produziert werden kann. Ein kreativer Austausch zwischen den beiden Genres könnte somit enorm befruchtend sein und nicht nur neue musikalische Perspektiven, sondern auch neue Möglichkeiten der Zusammenarbeit eröffnen, um ein einzigartiges Klanguniversum zu schaffen, das letztendlich zeitgenössische Komponist:innen klassischer Musik wie auch Künstler:innen/Performer:innen aus den Bereichen der elektronischen Musik und der Dance Music beeinflussen würde.
Das Goat Song Project ist eine Art kollaborative Versuchsanordnung für eine einstündige hybride Non-Stop-Performance von komponierten wie auch improvisierten elektroakustischen „Skizzen“. Es ist der Versuch, Instrumentalist:innen, DJ/Turntablist:innen und Electronica- oder IDM-Performer:innen/Komponist:innen aus dem In- und Ausland zusammenzubringen, um neue musikalische Möglichkeiten auszuloten und Genregrenzen zu überschreiten.
Die erste Performance dieses Projekts ist ein Auftragswerk des ORF musikprotokoll und ein Versuch, dem Publikum experimenteller elektronischer (Tanz)Musik die reichen und komplexen Klangtexturen der „klassischen zeitgenössischen“ Musik zu präsentieren, wie auch eine Einladung an das Publikum klassischer zeitgenössischer Musik, sich von der Physikalität und Freiheit inspirieren zu lassen, die die Welt der Electronic Dance Music zu bieten hat.