Als Album und als Serie audiovisueller Mehrkanal-Installationen ist Electric Indigos Konzeptarbeit Ferrum eine vielschichtige Auseinandersetzung mit den Klangmöglichkeiten von Eisen- und Metallobjekten, umgesetzt mit Mitteln experimenteller Elektronikmusik.
Sounds von Eisen und Metall sind quasi paradigmatisch für einige Musikströmungen seit dem frühen 20. Jahrhundert. Die Futuristen vertonten „Stahlsymphonien“, in der Elektroakustik bedient man sich ihrer als objets sonores, und Industrial- und Techno-Musik rhythmisierten sie. Man könnte sagen, in ihnen manifestieren sich akustische Abbilder des späten Industriezeitalters, man denke etwa an den Film Entuziazm von Dziga Vertov, Bands wie Test Dept., Nummern wie Metall auf Metall von Kraftwerk oder Lou Reeds Metal Machine Music. Im Computerzeitalter hat sich ihre Aura von einem musikalischen „Außen“ in ein „Innen“ verlagert; nicht mehr die reale oder gedachte Maschine stampft, sondern ihre synthetisierten Klanggebilde. All das – und noch einiges mehr – ist auf Ferrum zu finden.
Susanne Kirchmayr aka Electric Indigo ist eine der prominentesten Künstlerinnen der Techno-Kultur, DJ-Sets und Konzerte brachten sie zu prestigeträchtigen Events in Detroit, zu Auftritten in Südamerika und zu einer Japan-Tour mit Künstlerinnen ihres Netzwerks female:pressure. Seit 1993 veröffentlichte sie mehr als ein Dutzend EPs und arbeitete u. a. mit DJ Hell, Irradiation, Pia Palme (etwa beim musikprotokoll 2014) und Elisabeth Schimana.
Im Lauf der Jahre wandelte sich ihr Output von einer von Detroiter und Berliner Techno inspirierten do-it-yourself-Elektronik zu komponierter Elektroakustik und Electronica, denen die zahllosen durchgespielten Club-Nächte ebenso anzuhören sind wie zugespitzte Beschäftigungen mit (historischer) Klangkunst. Kirchmayr leitete Kurse der Red Bull Music Academy und 2018 war sie Kuratorin der Serie „Atelier Elektronik“ der Internationalen Ferienkurse für Neue Musik Darmstadt.
Flächen und Beats
Erst 2018 erschien Electric Indigos Debüt-Album 5 1 1 5 9 3 auf dem von Robert Henke geleiteten Label Imbalance Computer Music. Diesen März legte sie Ferrum auf dem Label Editions Mego vor. Zudem hat Editions Mego fünf Ferrum-Stücke als Remixes herausgebracht, produziert u. a. von Pita Rehberg, Monolake und der US-amerikanischen Techno-Musikerin Jamaica Suk.
Das Album Ferrum ist die Kondensierung einer vor einigen Jahren begonnenen Konzeptserie zu Klangbearbeitungen verschiedenster Eisenobjekte. Während einige Stücke Dancefloor-Tauglichkeit haben, präsentiert diese Platte überwiegend Prozessierungen elektroakustischer beziehungsweise akusmatischer Musik. Mal bearbeitet Indigo die schiere körperliche Härte dieser Klangquellen, dann wieder nähert sie sich ihnen bedächtig prüfend. Es sind Sounds, deren Ursprünge nicht – wie dies sonst oft geschieht – „maskiert“, sondern „werkstreu“ – also möglichst direkt an der Quelle selbst – verwendet werden. Ferrum ist sozusagen in Musik überführte Kulturgeschichte, bei der Electric Indigo Texturen wie „rau“, „trocken“, „hohl“ oder „plastisch“ klangforscherisch zutage fördert und Stimmungen zwischen „kalt“ und „feurig“ entstehen lässt.