In seinem Stück starry night, das Mazen Kerbaj 2006 während des Libanonkriegs aufnahm, spielte er die Trompete, als im Hintergrund die Bomben der israelischen Luftwaffe detonierten. Das Duett mit der IDF wirft die Frage nach der musikalischen Interpretation und Darstellbarkeit von Krieg, aber auch von ethnisch oder religiös kodierten Konflikten auf. In einer anderen Stadt, etwas näher zu Österreich, detonierten einst keine Bomben, vertrieben wurden vor fünfzehn Jahren trotzdem all jene, die man als MuslimInnen oder KroatInnen identifizierte. Wer heute noch in Banja Luka lebt, ist, mit wenigen Ausnahmen, serbisch-orthodox. Nicht alle haben bei den Vertreibungen mitgemacht, aber protestiert hat kaum wer. Die Oper Safikada, die auf der Legende einer muslimischen Frau beruht, die sich das Leben nimmt, weil sie sich in einen serbischen Offizier verliebt, begann ursprünglich mit dem Sound von Kanonen. Man bedeutete dem Komponisten Muharem Insanic bei der Uraufführung, dass solche direkten Anspielungen in der Hauptstadt der Republika Srpska nicht erwünscht seien, in deren Straßenshops man T-Shirts mit dem Konterfei von Ratko Mladic kaufen kann und mancher Friseur der Meinung ist, Radovan Karadzic sei ein Verräter.
Das erste, worüber die TeilnehmerInnen des Workshops
not by note, MusikerInnen aus dem ehemaligen Jugoslawien einerseits, und aus dem Nahen Osten andererseits, diskutierten, war die Frage: Wieso einen Workshop ausgerechnet in dieser ethnisch gesäuberten Geisterstadt? Die Idee dazu entstand auf der Basis des Projekts
Lost Spaces, das sich mit der Geschichte der Zerstörung und des Wiederaufbaus der Ferhadija Moschee in Banja Luka beschäftigte (eine Auftragsarbeit des musikprotokoll 2008). Das Projekt war damals die Reaktion auf eine weitverbreitete kuratorische Praxis, nämlich die MusikerInnen aus dem so genannten Nahen Osten als Frie- ensbotschafterInnen auf europäische Festivals einzuladen, ohne dabei einen Gedanken an die Rolle Europas in diesem Konflikt zu verlieren.
not by note ist insofern eine Weiterführung dieses Projekts, als MusikerInnen aus jener Region eingeladen wurden, den Blick umzukehren und auf einen Teil Europas zu lenken, der als „Balkan" zuweilen selbst aus dem zivilisierten Abendland ausgebürgert wird.
Die Umbenennung aller Straßennamen und die Vernichtung der Gotteshäuser durch die serbischen NationalistInnen waren Aktionen, mit denen die Vergangenheit ausradiert, ungeschehen gemacht werden sollte. Nichts sollte an „die Anderen" und die eigenen Verbrechen mehr erinnern. Aber auch der Versuch der muslimischen Gemeinde, diese Zerstörung ungeschehen zu machen und die Moschee heute mit originalen Steinen wieder zu errichten, zeugt von einem ähnlichen Verständnis, nur dass diesmal die Schrift des Verbrechens ausradiert werden soll.
Die Aktionen der NationalistInnen, genauso wie die Reaktion der Minderheiten behandeln den sozialen und geografischen Raum wie ein Whiteboard, auf dem man die Inschriften beliebig wegwischen und ersetzen kann. In dem Workshop ging es darum, die Stadt eher als ein Palimpsest zu betrachten, gleich jenen antiken Papyrus-Schriftstücke, auf denen trotz mehrfacher Überschreibung die Spuren der alten Schriften noch zu sehen sind. Dass sich die Vergangenheit nicht ohne Weiteres ausstreichen lässt, zeigt sich an den ca. 1 Million Landminen, die heute in Bosnien-Herzegowina liegen, welche die MusikerInnen als Ausgangspunkt ihrer Arbeit über die Politik der Überlagerung genommen haben.
Der Workshop
not by note konzentrierte sich zum einen auf jene soziale und politische Machttechnologie, zum anderen auf die Frage, wie man solche Themen in eine musikalische Sprache übersetzen könnte, ob dies etwa mit Verfahren des Mapping und der Psychogeographie zu bewerkstelligen sei. Die öffentlichen Interventionen, die im Rahmen des Workshops in Banja Luka stattfanden – Citywalks, Diskussionen, Konzerte und Begegnungen mit BewohnerInnen der Stadt – waren zugleich der Versuch, der organisierten Verdrängung etwas entgegenzusetzen.
Die Installation
not by note ist eine Art Metakarte dieser räumlich-politischen Praxis. Sie beruht auf einem Arrangement von fünf frei improvisierten und neu rearrangierten Audiospuren, die die WorkshopteilnehmerInnen als Ergebnis ihrer Zusammenarbeit auf dem Workshop als „blindes Palimpsest" produziert haben.
Für Unterstützung, Mithilfe, Anregungen, Gespräche und vieles mehr bedanken wir uns bei: Amir Husak, Irfan Pozderac, Ismet Pozderac, Tanja Topic; Sanja Topic, Erduan Katana, Muharem Insanic, BUKA & Elvir Padalovic & Aleksandar Trifunovic; Familie Simic; Muhamed Hamidovic, Nihad Hasanovic, Kasim Mujcic, Fahrudin Prlja, Familie Hajdarpasic /SLAP.
Interviewfragmete
Dror Feiler: „Es überrascht mich, wie ruhig die Leute hier sind. Alle sind im Straßenverkehr sehr nett zueinander, und sie schreien sich am Markt nicht gegenseitig an, - ganz anders als wie ich es sonst von Märkten gewohnt bin. Banja Luka erinnert mich an andere Städte im ehemaligen Ostblock, nur vor zehn Jahren. Es wirkt so, als ob die Zeit hier stehen geblieben wäre. Irgendwie habe ich das aber auch angenommen. Letztes Jahr war ich in Novi Sad in Serbien, und mein Gefühl dort war ganz anders. Dort ist es dynamischer, hier scheint alles still zu stehen. Niemand weiß wirklich, wohin es gehen wird, wie es weitergehen wird, wie es sich entwickeln wird. Es gibt keine Richtung. Niemand weiß, was die Zukunft bringen wird. Das ist das stärkste Gefühl, das ich hier habe."
Premil Petrovic: „Ich bin radikal antinationalistisch, das muss ich wirklich sagen, und es ist schwierig hier zu sein, und diese Leute zu sehen, die während des Krieges hier waren. Es ist sehr kompliziert. Die Leute über 40 wirken geistig abwesend. Ich versuche mit ihnen in Kommunikation zu treten, frage sie zum Beispiel danach, wo diese oder jene Straße ist. Sie wirken sehr ängstlich. Also ich bin erst seit vorgestern hier, meine Eindrücke sind sehr oberflächlich und man soll nicht generalisieren, aber es gibt etwas sehr Depressives hier. (...) Und die jungen Menschen, die so zwischen 16 und 20 sind, wirken auch ängstlich, sie wirken zwar nicht abwesend oder depressiv, aber superängstlich. Es ist immer ein Schock, wenn ich etwas frage. Und merkwürdigerweise wirken sie auch sehr zart. Die Jungs in Serbien, in Belgrad zum Beispiel, - und Serbien hat leider noch immer eine supernationalistische Gesellschaft; die Jungs eben dort wirken viel aggressiver. Hier habe ich den Eindruck, dass die jungen Menschen wirklich gebrochen sind, auf eine merkwürdige, gebrochene Art und Weise zart."
Amir Husak: „Ich habe das irgendwo gelesen, ich weiß jetzt gar nicht mehr wo, vielleicht in einem Lexikon, die Aussage war jedenfalls, dass jeder Krieg den Samen für einen neuen Krieg in sich trägt. Als ich an dem Film über den Verbleib von Landminen in Bosnien-Herzegowina zu arbeiten begann, musste ich daran denken. Landminen sind tatsächlich wie Samen, die in den Boden gepflanzt werden und dafür sorgen, dass der Krieg unterschwellig fortdauert. 1995, 1996 ging der Krieg in Bosnien zu Ende, aber im Stillen, kann man sagen, dauert er fort. Da ist diese ständige Gefahr eines Wiederausbruchs. So viele Dinge sind in Bosnien ungelöst, und es scheint so, – und das ist jetzt vielleicht scharf formuliert, aber es scheint so, als hätte die internationale Gemeinschaft Bosnien den Rücken gekehrt. Der Job gilt als erledigt. Die Menschen in Bosnien-Herzegowina sollen nun selber eine demokratische Gesellschaft aufbauen, in der alle gleichermaßen Gehör finden. Aber dieses Land ist so weit davon entfernt!"
Cynthia Zaven: „Diese Karte über den Verbleib von Landminen in Bosnien-Herzegowina zu sehen, die uns Amir präsentiert hat, war schockierend, denn sie zeigte, wie im Wortsinn explosiv dieses Land ist, und wie gefährlich. Da gibt es diese atemberaubende Schönheit, – gestern haben wir einen Ausflug in einen anderen Teil des Landes, nach Travnik gemacht, und die Berge dort strahlen eine derartige Kraft aus. Bosnien ist ein so wunderschönes Land, und dann sieht man diese Karte und hört Geschichten davon, wie Landminen von Erdrutschen an Hausfassaden gedrängt werden, und dort explodieren. Man will nicht mehr wirklich in diese Berge gehen. Man kann die Natur bewundern, aber nicht anfassen. Plötzlich bekam der Begriff Palimpsest eine tiefere Bedeutung. Er war Wirklichkeit; er war Geschichte, eine Geschichte, in die wir richtiggehend hineingeschleudert wurden."
Manja Ristić: „Nachdem wir uns auf das Thema der Landminen konzentriert haben, haben wir diesen Grad an Bewusstsein und Ernsthaftigkeit entwickelt. Wir haben unterschiedliche Hintergründe und Nationalitäten, kommen aus unterschiedlichen Ländern, und wir haben deren Konflikte zu diesem Workshop mitgebracht. Das hat uns sehr dabei geholfen, einander zu verstehen. Und ich glaube, dass dieses gemeinsame Bewusstsein, das wir entwickelt haben, uns in Zukunft dabei helfen kann, zu fokussieren und den jeweiligen Fokus auch zu benennen. Das ist sehr wichtig, wenn man engagierte Kunst macht, und diese, glaube ich, braucht diese Region momentan ganz dringend. Vieles darf einfach nicht vergessen oder übersehen werden."
Boikutt: „Wenn man die Situation in Bosnien und die in Palästina miteinander vergleicht und sich die Frage stellt, wie KünstlerInnen darauf reagieren sollen, dann würde ich sagen, das wichtigste sind öffentliche Interventionen. Die Leute müssen auf andere Gedanken gebracht werden. Alle warten darauf etwas tun zu können, wissen aber nicht was. Ich glaube nun nicht, dass KünstlerInnen dies bestimmen sollten, aber KünstlerInnen können dazu motivieren, die Dinge anders zu betrachten, auf unkonventionelle Weise zu denken. Ich zum Beispiel versuche, die Leute durch meine Musik zu motivieren, - dazu selber Musik zu machen, zu schreiben, zu lesen, einen Sport zu erlernen. Lerne irgendetwas! Schaffe dir deine eigene Identität! Schaffe dir Ausdrucksmöglichkeit! Das gehört, glaube ich, zum Wichtigsten, damit sich eine Gesellschaft vorwärts bewegen und verändern kann."
Asmir Sabić: „Als ich von der Projektidee gelesen habe, hab ich mich gefragt, wie es wohl sein wird, all diese Menschen zu treffen, die von all diesen verschiedenen Orten kommen, die alle ganz andere Hintergründe haben, und die aber auch alle diesen schlimmsten Zustand kennen, in dem sich eine Gesellschaft befinden kann, nämlich den Zustand des Krieges. Und jetzt kann ich sagen, dass sie alle eine unglaubliche Energie haben. Sie möchten etwas tun, und dabei geht es ihnen aber nicht nur um ihr eigenes Wohl, sondern es geht ihnen um die Gesellschaft. Es geht um die Gefühle, die sie wahrnehmen, und diese Menschen fühlen alles! Alleine das zu sehen, ist so schön! Alles was wir berühren, jede Situation in der wir uns wiederfinden, jede Beziehung, die wir hier schließen, etwa zu Menschen die geflüchtet und nun wieder zurückgekommen sind, zerstörte Häuser, zerstörte Moscheen, zerstörte Kirchen, alles, was eine Botschaft aussendet, diese Menschen empfangen sie. Sie sind sehr sensible EmpfängerInnen. Und sie wollen geben, sie wollen zurückgeben. (... ) Sie schärfen meine Wahrnehmung für das, was ich bin; für das was mich ausmacht und was ich zu tun habe, und das motiviert mich, an den Problemen dran zu bleiben. Das ist der Perspektivenwechsel, von dem ich sagen kann, dass er in den letzten Tagen bei mir stattgefunden hat."