Christian Scheib diskutiert mit Komponistinnen und Komponisten des musikprotokolls 2006.
Es handelt sich ja nicht um ein Medikament
Georg Nussbaumer und Klaus Lang im Gespräch mit Christian Scheib (Auszug)
Scheib: Klaus Lang war gerade ein Sofa kaufen. Wäre das ein Objekt, das Georg Nussbaumer vom Himmel fallen lassen würde?
Nussbaumer: Durchaus. Sofas sind durchaus biblische Bedrohungen, die vom Himmel fallen können. - Aber nein, ein ganzes Sofa wird nicht vom Himmel kommen, obwohl das Sofa natürlich schön ist, weil es einen großen Lebensbereich des Menschen als Assoziation wachrufen kann: vom Ausruhen über Warten und Langeweile, bis zur Erotik.
Scheib: Ist das Assoziieren essentiell bei diesem Projekt, an dem du arbeitest? Nussbaumer: Ja, durchaus. Ich gehe davon aus, dass, wenn verschiedene Dinge zusammenkommen oder sich nach und nach zu einem wüsten Haufen an Materialien addieren, es Dinge gibt, die aufgrund eigener Erfahrungen des jeweiligen Zusehers/Zuhörers Geschichten bilden können. Und wenn dann was anderes dazu kommt, reißen sie wieder ab. Das ist ein bisschen so wie die Lust am Flohmarkt: Man sieht das, was man sieht, und alles andere übersieht man. Man verpasst viel, wie im Leben, und man findet an dem, wozu man Bezüge dazu hat, seine privaten Geschichten.
Scheib: Nicht nur Schwerefeld mit Luftabdrücken von Georg Nussbaumer, auch das fast installative Orchesterwerk fichten von Klaus Lang bringt das Publikum in ungewöhnliche Situationen. Es gibt kein Konzertsaalsitzen, eher ein Hervorrufen situativer Momente. Welche Bedürfnisse führen zu solchen Entscheidungen, vom Künstler aus gesehen, aber auch von Publikumsseite aus gefragt?
Lang: Ich versuche eine Situation zu generieren – in diesem Fall nicht nur eine akustische, sondern, zusammen mit Claudia Doderer, auch eine visuelle – die ich selber gerne erfahren möchte. So wie ich mir ein bestimmtes Sofa kaufe, weil ich gerne auf diesem und keinem anderen Sofa sitzen möchte, schaffe ich irgendwie einen Raum, einen Klang, den ich selber gern erfahren möchte. Alles andere ist extrem spekulativ. Es handelt sich ja nicht um ein Medikament, das man abmischt und weiß, das hat genau diese Wirkung, sondern es geht um etwas Vielfältiges und so Vielschichtiges, dass es nicht überschaubar ist.
Nussbaumer: Ja, dem schließe ich mich voll und ganz an. Es geht nicht darum, Bedürfnisse zu erfüllen, genauso wenig wie es darum geht, Bedürfnisse zu missachten. Es geht eher darum, Schritte zu setzen, für die es das Bedürfnis noch gar nicht gibt.
Lang: Etwas in die Welt setzen, von dem die Leute gar nicht wissen, dass sie ein Bedürfnis danach haben.
Nussbaumer: Genau.
Scheib: Naja, das ist jetzt sehr schnell ein sehr präzises Abstecken des Themas Bedürfnisse geworden, weit hinaus über „Ich mache es bloß für mich selbst“. Ich will aber noch mal auf diejenigen zurückkommen, für die es gemacht wird. Es muss ja irgendeine Vermutung geben, warum etwas auch für andere interessant ist, das wir selber interessant finden. Es muss eine Art von Transmissionsriemen geben, von dem wir ausgehen, auch wenn wir normalerweise nicht so argumentieren. Das zu negieren ist ein bisschen unehrlich, finde ich.
Lang: Das ist wie bei jedem Kind, das etwas gebastelt hat und sich freut, wenn es das seiner Mutter zeigen kann. Es ist einfach die Freude daran, etwas mit jemandem zu teilen.
Scheib: Nein, das ist zu einfach. Warum geht Klaus Lang davon aus, dass seine Vorliebe für eine sich ereignende Ereignislosigkeit – du hast das mal mit einem Musil-Satz eingefangen – „... es war ja nicht einmal ein Geschehen, sondern obgleich es geschah, ein Zustand.“ –, dass das auch andere fasziniert?
Lang: Zuerst ist da das innere Bedürfnis, das Handeln, das praktische Arbeiten; dann setzt die Reflexion ein. Deswegen heißt das ja auch Reflexion. Man findet und erkennt das, was man schon irgendwie in sich trägt. Wittgenstein hat gesagt, den Tractatus kann eigentlich nur der verstehen, der selber schon Ähnliches gedacht hat. Menschen haben eine irrationale Disposition in eine bestimmte Richtung zu gehen. Die kann man unterfüttern mit historischer Belegung und philo-sophischer Reflexion, aber wenn es die Grundtendenz nicht gibt, dann fällt das alles auf nicht fruchtbaren Boden. Also ich habe als Kind sicher mehr Beethoven gehört als Morton Feldman, und trotzdem war Morton Feldman für mich wesentlich wichtiger und einflussreicher als Beethoven.
Nussbaumer: Also, was du gesagt hast mit dem Unterfüttern ist ja eigentlich eine selbstverständliche Sache. Man bemerkt, dass man nicht alleine ist, dass es große Traditionen gibt. Und dann ist da die eigene Idee, und man muss draufkommen, wie man diese mit ganz vielen dünnen Fäden in
der Wirklichkeit verhaken kann. Das können ganz subjektive Dinge sein und vollkommen unver-ständliche. Aber jetzt sind wir ganz von der Frage weg…
Scheib: Nein, nein. Ihr seid ganz genau da: Bedürfnis, Motivation, Weg.
Lang: Weil du vorher Musil zitiert hast: Es gibt eine Geschichte, in der er erzählt, wie ein Hund mit einem ganz langen Stock im Maul vor einer Tür steht und einfach nicht durch die Türe durch kommt. Der Hund steht da und weiß eigentlich gar nicht, was er tut, wackelt mit dem Kopf, und irgendwann ist er durch die Tür durch und erschrickt, weil er einfach durch die Tür durchgekommen ist. Und er weiß eigentlich gar nicht, wieso. Also mir geht’s auch oft so, dass man Dinge jahrelang nicht versteht oder missversteht, und irgendwann, man weiß gar nicht wieso, plötzlich versteht man sie. Oder man sieht sie plötzlich anders. So ähnlich funktioniert das auch im Nachdenken über das, was man selber tut. Es gibt eine Logik, die erst im Nachhinein logisch ist. Verzweigungsmöglich-keiten.
Nussbaumer: Also ich glaube, dass ein Stück entsteht, wenn es irgendwie „glüht“. In dem Moment, wo ich überlege, mit welchen dramaturgischen Kniffs ich es spannend machen kann, also indem ich praktisch aus der Position des Hörers zu denken beginne, geht’s am Holzweg. Und wenn ich anders herum versuche, bloß den Samariter an der Kunst zu spielen, bin ich auch sofort am Holzweg.
Lang: Das Beschreiten von Neuland kostet den Künstler wahnsinnig viel Energie, und das ist dann genau die Energie, die in einem Kunstwerk drinnen ist. Ich glaube, das ist ein ganz wesentlicher Punkt, dass die Energie, die man reinsteckt in etwas, dann auch das ist, was in dem Stück für den Hörer wieder zu Tage tritt.
Nussbaumer: Ja. Aber es passiert natürlich auch oft, dass massenhaft Energie drinnen ist und drinnen verschwindet.
Scheib: Sie verschwindet, um in Georg Nussbaumers Bild zu bleiben, wenn man bloß Samariter für die Kunst ist: Wenn die Energie nie irgendwo raus- oder ankommt, außer bei sich selbst. Das Gegenmodell dazu, das Ihr entworfen habt, wäre quasi der billige dramaturgische Trick. Also: Ich weiß, wie das funktioniert, dass die Lacher an der richtigen Stelle sind.
Lang: Man hat natürlich sein Handwerk. Und man benutzt sein Wissen auch, ob bewusst oder unbewusst.
Scheib: Klar, es muss ein Maß von beiden geben: Einerseits das nur aus Persönlichstem, aus dem Intimstem heraus Erklärbare und andererseits – du hast das vorhin mit den an der Wirklichkeit zu verhakenden Fäden beschrieben – das Bedürfnis, dass sich das irgendwie einhängt in der Wirklichkeit, dass es getragen wird von einer gesellschaftlichen Konstellation. Musils Hund würde ja gar nicht versuchen, mit dem Stock durch die Tür zu wollen, wenn es nicht irgendeinen Grund in der Wirklichkeit, in seiner sozialen Realität gäbe, da durchzuwollen.
Lang: Aber der Hund weiß nicht, was das ist.
Scheib: Er wird’s vielleicht nicht formulieren können, aber es muss einen Grund geben.
Nussbaumer: Naja, er hat einen Stock im Mund.
Scheib: Gehen wir näher an Eure Projekte heran. Klaus Lang, du hast für dieses Projekt viel Energie in die Erfahrungswelt des Mikroskopischen einerseits und des Unendlichen andererseits investiert, wobei das Orchesterstück fichten letzterem gewidmet ist. Das ist eine große Vorlage, letztendlich Metaphysik.
Lang: Tja.
Scheib: Tja.
Lang: Es geht um einen quasi unendlichen Raum, in dem man sich als Hörer einfach verlieren kann. In dem die Gesetze von Finalität, Kausalität, dramaturgischer Logik aufgehoben sind, wo man in einem großen Schweben verharrt, für einige Zeit. Als Komponist versuche ich mit Hilfe meiner Kompositionstechnik, diesen Zustand aufrecht zu erhalten. Was ich versuche, ist mit einem große Orchester Klang so zu formen, dass er wirklich zu einer unendlich sich dahinziehenden Linie wird. Es gibt ja auch optisch einen quasi unendlichen Lichtfaden und das Publikum erfährt das alles im Liegen. Es soll eine musikalische Linie sein, die manchmal wie zu einem Traum wird, die manchmal ganz karg ist, die aber trotzdem nie greifbar wird.
Scheib: Wunderbar, danke. Und Georg Nussbaumer?
Nussbaumer: Wie war die Frage?
Scheib: Optisches, Akustisches, Inszeniertes; Anmerkungen zu deinem Stück für den steirischen herbst.
Nussbaumer: Für mich ist ja die Vorstellung von geteilten Künsten, die zusammengesetzt werden, nicht relevant. Ich interessiere mich mittlerweile stärker dafür, wie ein Geiger riecht, wenn er Beethoven spielt, als wie er klingt und wie er sich bewegt. Das räumt den Klang vollkommen weg und geht in die Bildebene hinein, mit diesem vielen Zeug, das im Stück vom Bühnenhimmel fällt. Das spielt natürlich auch mit einer gewissen Ironisierung. Die Schwerkraft zu erleben ist für michpersönlich – und ich glaube für viele Leute – ein elementares Erlebnis, auch wenn es hier kein Meteorit ist, der runter fällt, sondern kleine Dinge. Man spürt diesen Raum, diese Schwerkraft.
Scheib: Für beide Projekte, für das performative Luftabdrucksstück von Georg Nussbaumer und das fast installative Orchesterwerk von Klaus Lang, würde ich gerne – schon wieder Musil – einen Ausdruck ins Gespräch werfen, mit dem Musil eine Art ästhetisches Programm skizziert. Er nennt als angestrebte Wirkung eine „Gleichgewichtsstörung des Wirklichkeitsbewusstseins“.
Lang: Das kann man von zwei Seiten sehen. Im Musil’schen Sinne geht es um eine Gleichgewichts-störung. Ich könnte nun sagen, es geht um die temporäre Herstellung des eigentlichen Gleich-gewichts. Die meisten Menschen leben ja ständig in einer seltsamen Gleichgewichtsstörung, sie denken nur, sie lebten im Gleichgewicht. In der Kunst bekommen sie die Möglichkeit, zu einem temporären Gleichgewicht zu finden. Das rührt natürlich wieder an die Metaphysik. Ich weiß nicht, ob das jetzt nicht eine Musil-Exegese wird…
Scheib: Gern…
Lang: ... aber es gibt diese eine Stelle, wo er beschreibt, dass der Kommerzialrat durch die Berge wandert und einer Herde von Kühen begegnet und plötzlich ganz entrückt ist. Dann sagt Musil, im Allgemeinen würde man das als Ferialstimmung bezeichnen. Der Kommerzialrat in seinem Büro würde die Kühe einfach als Nahrungsmittel für so und so viel Menschen rechnen. Diese Veränderung der Wahrnehmung bezeichnet Musil dann entweder ironisch als Ferialstimmung, oder, wie du vorher zitiert hast, als Gleichgewichtsstörung. Es muss also jeder Mensch für sich selbst ent-scheiden, wie ernst er die ernste Musik nimmt, nicht? Ob das für ihn jetzt so ein kleiner Ausflug ist oder ob es tiefer greifend die Wahrnehmung der Welt beeinflusst. Ob man das zulassen kann, als Person seine Wirklichkeit zu verändern. Ich glaube, dass da der zentrale Punkt von Kunst liegt.
Nussbaumer: Das könnte sogar eine empfindliche Störung des Gleichgewichts sein. Ich habe ja schon einige Stücke gemacht, wo die Leute praktisch in ein Gebäude hineingeworfen wurden. Schüchterne können sich gern irgendwo hinten ins Dunkle setzen, wer gerne rumgeht, kann rumgehen, wer gern dem Lärm nachläuft, soll das tun. Aber alle leiden unter dem gleichen Defizit: Nämlich dass sie wahrscheinlich 80% des Geschehens nicht bemerken werden, also dass sie sich in einem Kosmos befinden, in dem das meiste ohne ihre Aufmerksamkeit stattfindet. Das ist für mich auch eine sehr schöne Form des Gleichgewichts. Da ist man eben nicht zur falschen Zeit am Ort gewesen, sondern hat halt etwas anderes erlebt, als das, wonach man eh schon gesucht hat.
Scheib: Diese Position des „Ich hab’s als Ganzes gesehen“ gibt es bei Georg Nussbaumer weder konzeptionell noch praktisch, weil die Überfülle die Möglichkeit zur umfassenden Wahrnehmung übersteigt. Bei Klaus Lang gibt es sie auch nicht, weil er nach nichts weniger als der Unendlichkeit sucht. Damit sind wir jetzt bei Kant. Die Kategorie „Schönheit“ im Sinne des Überschaubaren ist verweigert, es geht um mehr als das, letztendlich um „Erhabenheit“, um dort, wo irgendetwas übrig bleibt, das unerfahrbar ist.
Nussbaumer: Ja, aber das beginnt ja für mich wirklich schon durch das Erfahren der Schwerkraft. In einer Überfülle aus Zeugs, das komische Konstellationen bildet, und wo ich nie weiß, was jetzt als nächstes runter klescht ...
Scheib: Du hast im dritten Akt – nein, falscher Ausdruck...
Nussbaumer: ... in der Schlussgruppe...
Scheib: In der Schlussgruppe kommt dein Stück mehr zum Klingen als je davor.
Nussbaumer: Übrig bleibt eigentlich nur das Marterinstrument der Musik, also die Stimmgabeln, die immer wieder in diesem Stück klingen, gegen Ende auch kollektiv schwingend. Die sind so was wie Klangstalaktiten, die durchs Finstere wachsen. Es geht natürlich in einem Stück, das sich in mehreren Kategorien an das menschliche Dasein heranarbeitet, zwangsläufig auch um Gewalt. Es gibt Waffen, Waffenteile, auch Patronenhülsen und Glocken als klingende Objekte. Ich hab selbst erst kürzlich an meinem Stück entdeckt, dass es so etwas wie einen Metallhimmel gibt, der immer da ist. Es gibt so ein stählernes Nordlicht, das da eigentlich die ganze Zeit hängt und eben klingt, vibriert.
Scheib: Da ist die Musik des stählernen Nordlichts, und da ist die Musik des unendlichen Lichtfadens. So lassen wir das.
mit Georg Nussbaumer
mit Klaus Lang
mit Georg Friedrich Haas und Jorge Sánchez-Chiong
mit Erin Gee und Joanna Wozny