Auf Initiative des Numusic Festivals und mit prompter tatkräftiger Unterstützung des Club Transmediale bildete sich zu Beginn des Jahres 2007 das Netzwerk ECAS der „European Cities of Advanced Sound", das sich Ende Mai, Anfang Juni 2008 zu dem Netzwerk ICAS der „International Cities of Advanced Sound" erweiterte. Nach Treffen in Berlin, Manchester, Brüssel und Montreal reisten vor einem Monat eine Reihe von Festivalveranstalterinnen und -veranstalter auf Einladung von Numusic zum bereits zweiten Mal nach Stavanger in Norwegen und kuratierten dort im Zeichen von ECAS gemeinsam ein mehrstündiges Programm, wie die Fotos auf diesen Seiten auch zeigen. Das musikprotokoll begleitet haben frufru und bonaNza, die nun auch in Graz mit einem für diese beiden Konzerte speziell zusammengestelltem Programm auftreten. Der Rückeinladung gefolgt sind Päl Asle Pettersen, einige Musiker und Musikerinnen des Stavanger Kitchen Orchestra rund um Nils Henrik Asheim und die derzeit vorwiegend in Norwegen lebende Britin Natasha Barrett.
Im Vorfeld der Grazer musikprotokoll Diskussionsrunde zum ECAS Projekt, sprach Susanna Niedermayr im norwegischen Stavanger mit Martyn Reed und Stein Bjelland vom Numusic Festival und Oliver Baurhenn vom Club Transmediale.
Susanna Niedermayr: Wie kam es zu der Idee ECAS zu gründen?
Martyn Reed: Viele dieser Festivals sind, glaube ich, mit der Situation konfrontiert, dass es in den Ländern, in denen sie stattfinden nur mehr zwei Arten von Festivals gibt, auf der einen Seite sind da die vom Staat hoch subventionierten Kunstfestivals und auf der anderen Seite die kommerziellen Rock- und Popmusikfestivals. Da kann man sich leicht verirren und das Gefühl bekommen, dass man auch so zu sein hat. Uns ist es jedenfalls so ergangen. Wir haben tatsächlich überlegt unser Festival in den Sommer zu verlegen, eine Open Air Bühne aufzubauen, um schließlich 20 000 anstatt lediglich 2000 Besucherinnen und Besucher anzuziehen. Aber natürlich ändert sich dadurch das Wesen des Festivals und auch die Art der Arbeit ist plötzlich eine ganz andere. Man spricht mit der Marketingabteilung von Coca Cola anstatt mit Künstlerinnen und Künstlern. Wir hatten also schon alles vorbereitet und dann habe ich Drew1 vom Futuresonic Festival angerufen und er sagte: Tu das nicht! Wir haben das letztes Jahr gemacht und es war schrecklich, ein einziges Desaster! Du wirst es hassen! Dieses eine Telefonat im Rahmen eines Netzwerkes, das damals formal noch nicht existierte, hat es uns ermöglicht, auf die Bremse zu steigen und darüber nachzudenken, warum wir überhaupt erst in Erwägung gezogen hatten, unser Festival in den Sommer zu verlegen. Ohne dieses Telefonat hätten wir vermutlich eine verheerende Sommersaison durchlebt, oder vielleicht hätten wir unser Festival auch in ein erfolgreiches kommerzielles Pop-Event entwickelt, aber das wäre dann das Ende von Numusic gewesen.
Susanna Niedermayr: Vorgestellt habt Ihr das Projekt ECAS erstmals beim Club Transmediale 2007 in Berlin, genau der richtige Ort, kann man sagen, denn der Club Transmediale arbeitet ja bereits seit mehreren Jahren immer wieder mit gleich gesinnten Festivals zusammen. Seit wann genau eigentlich? Und wie hat sich das entwickelt?
Oliver Baurhenn: Gute Frage, also ich würde jetzt einmal sagen das war so 2003, da haben wir unseren ersten Osteuropa-Schwerpunkt realisiert. Und über die Einladung osteuropäischer Künstlerinnen und Künstler sind wir dann auf eine Reihe von Organisationen gestoßen, auch Dank Eurer Mithilfe, Dank Eures Buches . Rund um das Jahr 2003 wurde in Osteuropa eine ganze Reihe an Festivals gegründet und es war eigentlich nur nahe liegend, sich mehr auszutauschen. Auf lokaler und nationaler Ebene haben wir immer schon kooperiert, aber sich zu trauen auch auf einer internationalen Ebene zu kooperieren, das musste erst gelernt werden, dieses Selbstbewusstsein musste erst wachsen, denn das ist ja nicht evident. Man sieht sich ja erst mal als dieses kleine DIY Festival, an dem man arbeitet und natürlich merkt man auch, dass es wächst. Aber es braucht eine Zeit um festzustellen, was für ein Echo man auf einer internationalen Ebene hat. Das Echo von Numusic war hier natürlich eine sehr schöne Bestätigung, eben zu bemerken: Aha, wir scheinen in dieser Festivallandschaft ein sehr guter Kreuzungspunkt zu sein. Das sollten wir nutzen! Damit alle davon profitieren können! Und das versuchen wir gerade, uns auch als Plattform für dieses Netzwerk bereitzustellen.
Susanna Niedermayr: „Cooperation not competition", also „Zusammenarbeit anstatt Wettkampf" ist nun auch ein zentraler Punkt in dem gemeinsamen Communique, an dem soeben gefeilt wird...
Oliver Baurhenn: Es geht darum, sich gegenseitig Rückhalt zu geben, nicht nur auf einer lokalpolitischen Ebene oder bei der Suche nach Subventionsgebern und Sponsoren. Klar, das sind natürlich zwei ganz wichtige Punkte, aber darüber hinaus geht es auch darum, einen Zusammenhalt zu schaffen und sich gegenseitig Feedback zu geben, um auch diesem Gefühl zu entkommen, das man einsam auf weiter Flur ist. Martyn hat es eingangs ja bereits angesprochen, man kann sich schon sehr schnell sehr einsam vorkommen, weil man, um es ganz offen zu sagen, in einer Nische agiert. Aber dann die Erkenntnis: wir
sind nicht alleine, sondern es gibt viele Leute mit ähnlichen Problemen, und wenn viele Leute mit ähnlichen Problemen zusammenkommen, dann gibt es einen ganzen Katalog an Lösungsvorschlägen, aus dem man sich für seinen lokalen Kontext das jeweils Passende herausfiltern kann.
Martyn Reed: Neben all den praktischen Tipps, die über ECAS ausgetauscht werden können, soll dieses Netzwerk seinen Mitgliedern auch eine Stütze sein. Es soll ihnen das Gefühl geben, dass es ok ist, was sie tun; es soll ihnen zeigen, dass andere dasselbe tun und dass ein Festival eben nicht unbedingt kommerziell werden muss.
Oliver Baurhenn: Wobei wir alle natürlich einem gewissen ökonomischen Druck unterliegen. Natürlich müssen wir schauen, dass wir uns auch selber auszahlen können, denn nur so können wir am Festival weiterarbeiten. Je weniger andere Jobs wir annehmen müssen, desto mehr Energie kann in den Aufbau von Netzwerken und in die Unterstützung von Künstlerinnen und Künstlern investiert werden; desto mehr können wir mithelfen, diesen Bereich der neuen experimentellen Musik weiter auszubauen.
Stein Bjelland3: Kulturarbeit wird ja in der Regel als Hobby angesehen. Es heißt Menschen machen Kulturarbeit, weil sie sich dazu berufen fühlen. Ich denke aber, es ist nur gerecht zu sagen: Kulturarbeit sollte als eine Form der Lohnarbeit verstanden werden. Sie verdient denselben Stellenwert. Ich hoffe, dass das Netzwerk, das wir aufbauen möchten, auch hier einen Beitrag leisten kann. Unsere Arbeit verdient es, anerkannt zu werden. Wir geben unseren Communities, Regionen und Ländern so viel. In der Regel ist es so: Man macht ein Festival, am Ende werden alle bezahlt, nur man selber nicht. Das sollte nicht so sein.
Susanna Niedermayr: ECAS soll also nicht nur ein Ort musikalischer Veränderung, sondern auch ein Ort gesellschaftlicher Veränderung sein, ein Ort der Politik...
Oliver Baurhenn: Bei experimenteller Musik geht es ja immer um Innovation, es geht darum Dinge auszuprobieren, auch mal den falschen Weg einzuschlagen und zu scheitern. Man kann hier von den Künstlerinnen und Künstlern mit denen man zusammenarbeitet sehr viel lernen, und es ist spannend, das noch mal auf die organisatorische Ebene zu transferieren. Die Musik ist ganz wichtig, als ein Treffpunkt für eben auch gesellschaftliche Veränderung und ich denke da ist ein Festival genau das richtige Format! So. Davon bin ich felsenfest überzeugt und ich denke auch, dass mit ECAS viel zu schaffen ist. Und selbst wenn wir scheitern sollten, dann wissen wir, glaube ich, alle, dass wir nicht mehr zurückgehen können in unsere eigenen Schneckenhäuser. Das finde ich auch sehr beruhigend, dass alle Beteiligten nun erfahren und gelernt haben, wie wichtig diese multilateralen Kooperationen sind, um hier auch gleich einen Terminus aus der Politik zu verwenden.
Susanna Niedermayr: Ende Mai, Anfang Juni dieses Jahres hat sich ECAS zu ICAS erweitert, aus den European Cities of Advanced Sound wurden beim Mutek Festival in Montreal die International Cities of Advanced Sound. Auf Einladung von Alain Mongeau, dem Festivaldirektor von Mutek, sind Festivalmacherinnen und -macher aus Europa und Amerika zusammengetroffen, auch eine Veranstalterin aus China war dabei. Was ist der Hintergrund dieser Entwicklung?
Oliver Baurhenn: Es war natürlich von Anfang an klar, dass das Netzwerk letztendlich ein internationales sein muss und das Mutek Festival hat dann ein Treffen bei ihnen vorgeschlagen. Dem Festivaldirektor Alain Mongeau ist einfach bewusst, dass sie gar nicht existieren könnten, ohne der mentalen Unterstützung von europäischer Seite her. In Amerika ist die Festivallandschaft in dem Bereich in dem wir arbeiten wirklich sehr dünn besiedelt, das ist einfach eine Diaspora und da braucht es diese Unterstützung! Was dann beim Mutek Festival passiert ist, dass auch unsere Freundinnen und Freunde aus den diversen Amerikas entdeckt haben, dass sie nicht alleine sind, sondern dass es hier bereits einen Zusammenhalt gibt und dass da wie dort ähnliche Probleme herrschen und dass es, wie gesagt, eben wichtig ist, sich auszutauschen, um Lösungen zu finden für seinen jeweiligen lokalen Kontext.