Himmelsleiter
Ohne Scheu setzt sich das Karussell in Bewegung, in meiner Hand das Aufnahmegerät. Völlig „unerwartet“ verliere ich den Boden unter den Füßen, die Fliehkraft drückt mich in den Sitz, krampfhaft halte ich den Recorder fest – auch dieser ist der Fliehkraft ausgesetzt. Konzentriert fixiere ich meinen Blick an einem der vorderen Sitze. Mulmig. Die Zeit dehnt sich – sind 2:38min nicht schon längst vorbei? Als sich das Karussell verlangsamt entspanne ich die Beine, welche sich offenbar unbemerkt zusammengekrampft haben. Aufregend. Nochmal!! Schon in Graz wurde ich auf das Projekt „Karussell mit zeitgenössischer Musik“ aufmerksam – was ist das nur für eine tolle Idee! Dementsprechend groß war die Freude, dafür mit einer Komposition beauftragt zu werden! Nach meiner Recherche und der dazugehörigen „Dienstreise“ konzipierte ich also ein Stück, das sich mit Abheben, Beschleunigung im Stillstand, übergroß & winzig klein und Individuum & Kollektiv befasst. Zu letzterem passt besonders, dass ich alle Stimmen mit den Instrumenten Violine, Viola, Violoncello und Kontrabass selbst aufgenommen habe – sozusagen ich, zusammen mit dem Kollektiv meiner selbst. (Danke an die LMS Ottensheim, den Ustupstys und Angelika Scheiblhofer für die Instrumente!)
Auch BesucherInnen, welche nicht im Karussell fahren, können sich auf der Plattform bewegen und die Instrumentenkombinationen, mit denen sie sich gen Himmel heben lassen möchten, bewegend auswählen. Im Karussell hingegen scheint man in nicht enden wollender Beschleunigung in den Himmel hochgeschraubt zu werden – bis die Startrampe unmerkbar abhanden kommt. Begleitet von einem Streichensemble folgt der freie Flug ohne Haltegriffe. Nach diesem reinigenden Schleudergang, der vielleicht sogar in ungeahnte himmlische Bewusstseinsebenen
Irene Kepl
Irene Kepl ist als freischaffende Violinistin und Komponistin vor allem im Bereich zeitgenössischer und improvisierter Musik und Jazz aktiv. 1982 in Linz geboren, studierte sie Violine bei Arkadi Winokurov und Jazz bei Andreas Schreiber an der Anton-Bruckner-Privatuniversität Linz. Es folgte eine intensive autodidaktische Auseinandersetzung mit (freier) Improvisation, Komposition und zeitgenössischer Musik: rege Konzerttätigkeit bei Linz 09 - Kulturhauptstadt Europas, Aufträge für Filmmusik und Klanginstallationen, Engagements als Stummfilm Improvisatorin. Sie ist Gründerin der monatlichen Konzertreihe OÖ Musik im Raum. Zuletzt wurde Sie mit dem Theodor-Körner-Preis für Komposition und einem Music-OMI-Scholarship-New York ausgezeichnet.