Als rhetorische Figur hat mich das Oxymoron schon seit meiner Kindheit fasziniert. Allein die Morphologie des Wortes – „oxy“: scharfsinning/„moros“: dumm – fand ich in meinem kindischen (heute immer noch kindlichem) Gehirn immer zufriedenstellend, magisch und beruhigend, so wie manche das Wort „Om“ empfinden. Es war wahrscheinlich das Gegensätzliche und Widersprechende, das in der Realität konstant widergespiegelt war und dann doch in einer feinen literarischen Weise ausgedrückt sein konnte. Die zusammengepuzzelten Worte oder Begriffe, die ein Oxymoron bilden, besitzen als Einheit eine Anziehungskraft, die das Unaussprechliche und Extreme aus dem Leben genau auf den Punkt bringt. Und wenn einzelne Wörter, Begriffe, sogar ein oder mehrere Sätze ein Oxymoron bilden können, warum denn nicht auch ein Klavierkonzert, das im 21. Jahrhundert entsteht und alleine durch diese Tatsache seine Existenz fast als Oxymoron erklären könnte.
Das Oxymoron verbindet man hauptsächlich mit literarischen Texten, doch finden sich im alltäglichen Gebrauch unzählige Ausdrücke, die als Oxymoron gelten und die wir als selbstverständlich verwenden. Redewendungen sind eben etwas, über das wir nicht allzu viel nachdenken und man greift meistens unbewusst dazu, genauso wie gewisse Klänge, Melodien und musikalische Gesten, die so stark in unserem Unterbewusstsein etabliert sind, dass sie manchmal nur als Ohrwurm auf die Oberfläche herauskriechen können. Die erweiterten, experimentellen Klänge der zeitgenössischen Musik werden von den gewöhnlichen Klangvorstellungen entfremdet und können zusammen mit den Ohrwürmern eine groteske Wirkung erzeugen. Die grundsätzliche Suche nach der Kreation eines oder mehreren Oxymora in der Komposition hat für mich mit diesen Gedanken angefangen und wird mich sicherlich noch weit über das Klavierkonzert hinaus beschäftigen.
Die persönliche Faszination für alles, was das gewöhnliche Maß übersteigt und gegen die Sitten verstößt, ergab ein Bedürfnis nach dem Wort „Orgy“. In der antiken griechischen Religion war eine Orgie eine ekstatische Form der Verehrung und hat darauf abgezielt, die Schranken zwischen den Feiernden und der Gottheit durch einen Zustand der mystischen Überhöhung zu überwinden. Die Teilnahme von Frauen an Orgien, die in einigen Fällen auch ausschließlich Frauen vorbehalten war, führte zuweilen zu lüsternen Spekulationen und Versuchen, die Riten zu unterdrücken. Während die Unterdrückung der Frauen selbstverständlich ist und in verschiedensten Formen und Kontexten noch immer in unserer so modernen, fortgeschrittenen Gesellschaft des 21. Jahrhunderts tagtäglich stattfindet, ergeben sich Konstellationen, in welchen man als Mensch und Künstlerin eine fast utopische Freiheit genießen darf, wie zum Beispiel eine Entlohnung für die Kreation eines neuen Werkes für Klavier und Orchester. Genau während eines solchen Prozesses muss ich intensiv an die Missstände in unserer Welt denken und an das Gefühl der Hilflosigkeit, diese bekämpfen zu können, aber auch an die gleichzeitige Absurdität meiner etwas elitären Beschäftigung und das Privileg, aus einem sicheren Standpunkt diese Missstände musikalisch kommentieren zu dürfen. Komponiert für eine Pianistin und Dirigentin, für die ich höchsten Respekt und Bewunderung hege, ist dieses Stück eine Explosion von Ohnmachtsgefühlen, sowie Allmachtsfantasien und es feiert den einfachen Genuss und die pure Liebe (was auch immer das ist). Gleichzeitig spuckt es auf diese verdorbene, primitive und kranke Welt, die wie ein majestätisches Oxymoron-Denkmal weiter existiert und die eigentlich Zeit und Ruhe für Orgien nötig hätte.