Nigredo
Nigredo. Als Cyborg ganz Mensch sein

Der Körper als Medium
Marco Donnarumma im Gespräch mit Lucia Udvardyova (Übersetzung: Friederike Kulcsar)

Der in London lebende PerformanceKünstler, SoundArtist, Musiker und Autor Marco Donnarumma nutzt den menschlichen Körper als künstlerisches Ausdrucksmittel, rückt seine physische Präsenz in den Vordergrund, macht seinen Sound hörbar. In seiner Arbeit setzt er biomedizinische Technik, Soundtechnologie, Software, Sensoren und Transducer ein, um „biophysikalische Instrumente“ zu schaffen, die die Komplexität des Körpers auch für andere erfahrbar machen.

Lucia Udvardyova: Warum haben Sie sich dafür entschieden, mit einem so persönlichen physischen Medium wie Ihrem Körper zu arbeiten? Können Sie uns schildern, wie Sie zu Ihrem bevorzugten
Ausdrucksmittel gefunden haben?

Marco Donnarumma: Als Musiker und Performer arbeite ich bereits seit über zehn Jahren mit Klang. Ich habe z.B. eine Zeit lang audiovisuelle Performances gemacht, in denen ich E-Bass spielte und damit via einer von mir geschriebenen Software auch die Projektionen ansteuern konnte, was mir erlaubte, direkt mit den klanglichen und visuellen Elementen zu interagieren. Nach einigen Jahren fühlte ich mich durch das Instrument in der Hand aber ziemlich eingeschränkt. Es gibt zwar eine Vielzahl von Möglichkeiten, einen E-Bass zu spielen, aber man muss noch immer einen Akkord anschlagen oder an einer Saite zupfen, um einen Klang hervorzubringen. Weil ich darüber hinaus einen Computer und Pedale einsetzte und jede Menge Equipment auf der Bühne hatte, ist mir irgendwann aufgefallen, dass die Aufmerksamkeit des Publikums zumeist auf die Geräte und nicht auf die Performance selbst gerichtet war. Ich wollte so nicht weitermachen und versuchte, einen völlig neuen Ansatz zu entwickeln. Ich begann mich mit dem menschlichen Körper und den darauf ausgerichteten Technologien auseinanderzusetzen, was mich schließlich in das Gebiet der Biotechnik führte. Von nun an war ich damit beschäftigt,
mit biomedizinischen Geräten meine eigenen BodyInstruments zu entwickeln. Da die Nutzung dieser Geräte damals der Fachwelt vorbehalten war oder sie recht teuer waren, fokussierte ich auf das technische
Prinzip, nach dem ein neues und originelles „Körper instrument“ funktionieren könnte. Ich bin bei der Bioakustik und ihren Methoden gelandet, d.h. bei den Signalen, die der Körper sendet – akustische
Vibrationen, die ein Muskel bei der Kontraktion erzeugt, der Herzschlag,  das durch die Adern fließende Blut,all diese unhörbaren Sounds, die vom eigenen Lebendig sein zeugen – und die man aufzeichnen und verstärken kann. Auf diese Weise entwickelte ich  Xth Sense, ein Musikinstrument, das Biosignale in Musik übersetzt. Indem mein Körper zu meinem Instrument wurde, musste ich auch meinen bisherigen performativen Ansatz neu überdenken. Ich habe schließlich verschiedene Methoden entwickelt, mit denen ich den Körper auf unterschiedliche Weise erforschen kann.

LU: Der menschliche Körper ist Gegenstand der Betrachtung in der Philosophie, der Religion, der Spiritualität. Sind diese Aspekte auch in Ihrer Arbeit präsent?

MD: Ja, auf jeden Fall. Viele meiner Arbeiten, vor allem jene der letzten Jahre, sind von Cultural Studies und Philosophie beeinfl usst. Einer der zentralen Aspekte ist für mich, dass wir durch Handeln lernen und dass wir sind, was wir sind, weil wir ebendiesen Körper haben, dessen Funktionalität erweitert, transformiert oder modifiziert werden kann. Auf dieser Überzeugung gründet nicht nur meine Praxis, sondern auch mein Verständnis von künstlerischer Intervention. Einen weiteren wichtigen Impuls liefert die Prozessphilosophie, die die Dinge nicht in ihrem Sein, sondern in ihrem Werden begreift, wie ja auch der Körper ein einziger fl ießender Prozess ist und damit natürlich etwas Unfertiges. Unfertig im Gegensatz zu allen anderen Tieren, deren Körper immer optimal an ihren Lebensraum angepasst ist – was beim Menschen nicht der Fall ist. Wir verändern eher unsere Umwelt, um zu überleben, als dass wir unseren Körper verändern.

Man kann ein technologisches Instrument auf verschiedenste Weise betrachten, darf dabei aber keinesfalls vergessen, dass auch Instrumente eine Identität haben, die davon bestimmt wird, wie wir sie
entwickeln und wie wir mit ihnen interagieren. Wie der menschliche Körper bestehen auch sie aus einem bestimmten Stoff und aus einzelnen Teilen. Diese Beobachtung fließt in meine Arbeit ein, wenn ich z.B. Teile von Maschinen und bestimmte Teile von Körpern auf besondere Weise miteinander verkopple, um Prozesse in Gang zu setzen und dann zu schauen, was passiert. So werden in meiner Installation Nigredo die Körper der BesucherInnen zu einem Teil des Instruments, wobei jeweils die Biosignale einer einzelnen Person vom technischen System erfasst, um gewandelt und verarbeitet werden, um danach mittels akustischer Transducer, die mit dem Schädel und den Knochen im wahrsten Sinn des Wortes Kontakt haben, in einem Feedback Verfahren wieder in den Körper zurückgeleitet zu werden. Es ist eine Arbeit, die mit einem toten Körper nicht funktionieren würde.

LU: Versuchen Sie, das Publikum in Ihr Schaffen miteinzubeziehen?

MD: Ja, ich finde, dass das sogar sehr wichtig ist. Was nicht notwendigerweise impliziert, dass ich das Publikum glücklich machen möchte. Ich erwarte von ihm nur, dass es etwas spürt, etwas wahrnimmt, eine Erfahrung macht. Ich finde es furchtbar, dass sich die digitale Kunst oder Medienkunst mehr und mehr zu einem Synonym für Schönheit und Unverbindlichkeit entwickelt. Man braucht sich nur umzuschauen. Wir befi nden uns im ständigen Kriegszustand, sind von Hunger, Umwelt kata strophen, massiver Armut und Korruption umgeben, werden von der Lebensmittelindustrie abgefüttert, von Social Media beeinflusst und zu guter Letzt noch zensuriert und überwacht. Wird also schöne digitale Kunst gemacht, damit wir die Realität vergessen? Damit wir gleichsam im Schwebezustand flauschige Wolken anstarren? Ich bin der Meinung, dass digitale Kunst wie jede Kunst provokativ sein muss, dass sie zum Nachdenken anregen und radikal sein muss, es somit keine Rolle spielt, ob sie hässlich oder schön ist, solange sie in ihrer Intention glaubwürdig ist. Wir werden aber überflutet mit Dingen, die uns nichts geben, und mit Werken, die nur technische Übungen sind. Genau das versuche ich zu vermeiden.

LU: Geht es im Hinblick auf den klanglichen Aspekt darum, etwas Innovatives zu erschaffen?

MD: Ich würde sagen, dass es am allerwichtigsten ist, den Klang zu respektieren. Jedenfalls sehe ich das so. Sich zu fragen, welche Bedeutung Sound in unserem Alltag hat, von der Musik bis zu den Umweltgeräuschen. Sich des Sounds unseres Körpers bewusst zu werden. Zu erkennen, wie uns Klänge beeinflussen, wie wir sie teilen und was wir von ihnen lernen können. Klänge sind für unsere
Entwicklung von entscheidendem Einfluss, wie sie auch unsere Identität mitbestimmen, was noch immer nicht zur Gänze erforscht ist. Aus diesem Grund arbeite ich auch mit unhörbaren Klängen, mit dem
unhörbaren Sound des Körpers. Wenn man ihn verstärkt, tut sich eine ganze neue Welt auf, die uns und unseren Körper ausmacht. Technischer Fortschritt fällt nicht in den Aufgabenbereich der KünstlerInnen. Das bedeutet aber nicht, dass ich für eine Trennung von Wissenschaft und Technologie bin, ganz im Gegenteil, ich arbeite tagtäglich mit Ingenieuren und entwickle selbst Technologien.
Ich will damit sagen, dass technologische Innovation nicht im Zentrum des künstlerischen Interesses stehen sollte, weil es eine viel größere Heraus forderung und viel wichtiger ist, eine eigene Sprache zu entwickeln, etwas Eigenständiges zu schaffen und auf diese Weise die Welt mit zugestalten.

Das Interview in voller Länge kann auf der Website von SHAPE nachgelesen werden: http://shapeplatform.eu/. Jede Woche wird dort ein Interview mit dem SHAPE Artist of the Week veröffentlicht, der jeweils auch im Ö1 ZeitTon Magazin präsentiert wird.

Audiodoku
Audio file
Marco Donnarumma "Nigredo" © Marco Donnarumma
Interpret/innen

Marco Donnarumma (IT) in Zusammenarbeit mit Marije Baalman (NL)

Kooperationen

Koproduktion ORF musikprotokoll & Kunsthaus Graz. In Kooperation mit SHAPE – Sound, Heterogeneous Art and Performance in Europe Marco Donnarumma ist SHAPE Künstler. Gefördert durch das Programm „Creative Europe“ der Europäischen Union.

Termine
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Location
Kunsthaus Graz
Installation
Österreichische Erstaufführung
Dieses Werk gehört zu dem Projekt:
musikprotokoll 2015 | Nigredo