Christian Scheib im Gespräch mit dem Orchestrator Gottfried Rabl
Das erste Orchesterstück von Christian Fennesz entsteht für das
musikpro tokoll 2015 und das RSO Wien in enger Zusammenarbeit mit Gottfried Rabl, der aus einer elektronischen, komponierten Vorgabe von Christian Fennesz ein orchestriertes Stück entstehen lässt.
Christian Scheib: In der europäischen Kunstgeschichte und auch Musik geschichte gab es immer wieder Produktionsmodelle, die von dem einsam und alleine, geniegetrieben vor sich hinarbeitenden Künstler radikal abwichen. Viele Bilder von Peter Paul Rubens oder Rembrandt entstanden in den Ateliers und Werkstätten in Zusammenarbeit mit Schülern und Malermitar beitern, die unter Umständen auf bestimmte Fertigkeiten spezialisiert waren, wie Hintergrundgestaltung oder Faltenwurf. In der Musik unterhielten die Brüder Strauß wohl so etwas wie eine Manufaktur, in der Vorgaben der Strauß Brüder von Mitarbeitern zu spielbaren Partituren gemacht wurden. Kann man sich die Zusammenarbeit von Christian Fennesz und Gottfried Rabl wie in dieser Tradition befindlich vorstellen?
Gottfried Rabl: Man könnte sagen, ja, es scheint gerade darauf hinauszu laufen, jetzt, wo der Arbeitsprozess im Gang ist.
CS: Und wie ist der Arbeitsprozess in Gang gekommen?
GR: Ich habe mir angehört, was Christian Fennesz für dieses circa zwanzig minütige Stück ausgewählt hat und mir zukommen ließ. Das ist wie ein Ausschnitt aus einem großen Gemälde. Form in einem traditionellen
musi kalischen Verständnis ist dabei keine zu erkennen, es zieht sich hin und fort, es entwickelt sich, es rückentwickelt sich, etwas Neues entsteht und ent- schwindet wieder. Irgendwann hört es auf. Das ist wie ein Gemälde in der Zeit.
CS: Worin besteht die notwendige Raffinesse des Orchestrators im Falle dieser Zusammenarbeit?
GR: So ein Ausschnitt wie der, den Christian Fennesz mir zum Orchestrieren gegeben hat, ist klanglich nicht eins zu eins für Orchester umsetzbar, so wie er die Musik ausgetüftelt hat, herausbekommen hat. Ich habe Christian Fennesz gleich gesagt, gerade dieser Teil, den Du mir gegeben hast, wird in der Orchesterumsetzung schwierig, wenn wir nicht elektronische Geräusche zuspielen. Das will Christian aber überhaupt nicht. Ich möge etwas daraus machen, das im Orchester gut klingt, auf Basis seines Stückes. Natürlich versuche ich möglichst – unter Anführungszeichen – „werktreu“ zu bleiben, aber mit all den Geräuschen ist das wahrlich nicht einfach. Ich bin jetzt gerade dabei, ein Mittelding zu finden, das trotz aller Geräuscherzeugung ein professionelles Orchester nicht klamaukhaft erscheinen lässt. Damit wäre ja niemandem gedient. Aber natürlich müssen die Musikerinnen auch tonlos in ihre Instrumente blasen oder Papierrollen reiben oder ein Regenrohr als Perkussionsinstrument benutzen. Wir und die Orchestermusiker kennen diese Praktiken von Lachenmann und anderen. Aber, wie gesagt, ein Orchesterauftritt hat auch eine optische Komponente, und es darf nicht nach Klamauk aussehen. Es soll beeindrucken und gut klingen. Ich versuche eher, in der Instrumentierung Orchesterfarben ungewöhnlich zu mischen, manchmal erfinde ich auch musikalische Feinheiten dazu, damit der Effekt gut wirkt. Ich versuche mich hineinzufühlen, wie er – also Christian Fennesz – es empfunden haben könnte, es entstehen hat lassen.
CS: Findest Du im Stück von Christian Fennesz die harmonischen Strukturen vorgegeben?
GR: Natürlich finde ich bestimmte harmonische Spektren vor, wenn ich mir Christians Stück anhöre, aber die Herausforderung liegt eben im Verknüpfen dieser Vorgabe mit jenen Vorgaben, die von Orchesterklängen nicht so selbstverständlich dargestellt werden können. Die Orchesterbesetzung, die wir verwenden können, verfügt glücklicherweise über verhältnismäßig viele tiefe Frequenzen, wie Kontrabassklarinetten. Das kann ich benutzen, um einen tiefen, sagen wir „Black-Vacuum-Raum“ entstehen zu lassen. Christian nennt ja die Orchesterversion seiner Musik auch „black sea vacuum“. Ich assoziiere da einen tiefen, auch tiefen-gestaffelten Klangraum zu Christian Fennesz’ Musik aus dem Kontext seines Albums Black Sea. Aber wie gesagt: Der Versuch des Orchestrierens besteht darin, aus Akkordschichtungen, Geräuschhaftem und Instrumentierungsdetails etwas neues Ganzes und in sich Schlüssiges oder Logisches entstehen zu lassen, nicht diese Einzelteile einfach aneinanderzureihen oder übereinanderzuschichten.
CS: Geräuschhaftes zu notieren hat eine jahrzehntelange Tradition in der zeitgenössischen Musik, das Notieren kann aber auch ungewöhnliche Entscheidungen bezüglich des Zeitverlaufes betreffen.
GR: Ja, das geht natürlich bis hin zum Notieren der zeitlichen Abfolge. Das müsste jetzt eigentlich niemand wissen, aber ich habe mich entschlossen, statt komplizierter Taktwechsel, die vielleicht in der Partitur cool aussehen, genau das Gegenteil zu verwenden: Gleichförmig durchlaufende, durch den Dirigenten zu gestaltende Sekundeneinheiten, in deren Abfolge sich das zu Beginn erwähnte Gemälde entwickelt. Für den Zuhörenden ist das sowieso alles ganz anders, er oder sie baut sich ohnedies sein eigenes Stück beim Hören.
CS: Ein Beispiel für eine besonders gewagte Instrumentierungsenscheidung?
GR: Beispielsweise gibt es eingebaut in das Stück eine Gitarrenimprovisation von Christian selbst. Auch hier wollte Christian Fennesz weder selbst mitspielen, noch es zuspielen lassen. Jetzt übernimmt in der orchestrierten Fassung diesen Part die Harfe. Einfach weil sie das einzige Instrument im Orchester mit ähnlicher Klangerzeugung ist. Selbstverständlich verändert das alles. Man könnte sagen, die Musik bleibt zwar theoretisch die gleiche, aber der Klang verändert sich sehr, und damit verändert sich dann doch auch die Musik als solche.
CS: Ich finde das aber wunderbar, dass Christian Fennesz konsequent bleibt im Verweigern von Elektronik oder Selbst-Mitspielen. Das war ja eigentlich auch wirklich die Idee bei diesem Auftrag. Mit den daraus folgenden positiven oder auch schwierigen Aspekten muss man dann eben umgehen.
GR: Natürlich gibt es gerade bei den ungewöhnlichen Spieltechniken gewisse Grenzen des Notierbaren. Da muss dann einfach während der Proben noch viel gefeilt werden. Etwas ruhiger hier, etwas gelassener da, mehr Kratzigkeit dort, mehr Wellenbewegung danach, deutlicheres Zischen beim tonlosen Reinblasen oder eben gerade nicht. Da ist dann schon der Dirigent noch der nächste im Bunde der Gemeinschaftsarbeit, damit das Stück zu einem eigenständigen Leben erwacht.
CS: Es scheint schon viel Rabl in diesem Fennesz zu stecken.
GR: Ja, Entscheidungen treffen musste und muss ich tatsächlich viele.
CS: Gibt es Instrumentierungsvorbilder für genau diese Arbeit?
GR: Erstaunlicherweise ist es tatsächlich die extrem eigensinnige Weise von Jean Sibelius, mit Orchester umzugehen, an die ich manchmal denke. Dessen Instrumentation ist ja unglaublich, wenn man sich das genau ansieht. Wie er Akkorde oder Klänge zu klingen anfangen lässt – um das auch ganz absichtlich etwas umständlich zu formulieren – ist bemerkenswert. Gerade weil eben nie alle gleichzeitig anfangen. Die einen eine Achtel früher, die anderen später, die Akkorde zerfransen sich so hinein in den Klang und entstehen und vergehen auf diese Weise. Wenn beispielsweise die Bässe mehrere Takte, bevor es überhaupt zur Harmonie passt, schon zu spielen beginnen. Das ist fantastisch, das passt perfekt für diese Aufgabe der sich ständig verschiebenden Klangund Geräuschbänder, darauf baue ich schon auf.
CS: Noch haben wir – für ein Gespräch über ein Orchesterstück und seine Instrumentierung ungewöhnlich – noch kein Wort über die Streicher gesprochen.
GR: Unsere Streicherbesetzung ist etwas ungewöhnlich in der Anzahl der Spieler in den einzelnen Gruppen. Nicht die klassisch vielen ersten Geigen, 14 oder gar 16, und dann immer weniger in den nachfolgenden Gruppen, sondern wir verwenden, wie es in der Orchestersprache heißt, eine achter Besetzung, aber eine ungewöhnliche, nämlich 8-8-8-8-6, das heißt fast gleich viele Instrumente in jeder Streichergruppe. Dadurch wirkt das dann auch etwas solistischer und trotz der Größe des Orchesters irgendwie kammermusikalischer ziseliert. Das ist eine weitere innere Spannung dieses Stücks in seiner Orchesterfassung: klanglich feinziseliert und dabei auch massiv und klangtrunken.