Heart Chamber Orchestra ist eine audiovisuelle Performance, die von einem zwölfköpfigen klassischen Orchester und dem Künstlerduo Terminalbeach präsentiert wird. Die Musiker und Musikerinnen des Orchesters steuern dabei mit ihren Herzschlägen ein Kompositions- und Visualisierungssystem und generieren so in Echtzeit die Partitur für die akustischen und elektronischen Instrumente. Demzufolge wird auch nicht vom Blatt gelesen und gespielt, sondern von Computerbildschirmen. Die Konstellation des Heart Chamber Orchestra bildet somit eine Struktur, bei der die Musik im wahrsten Sinn des Wortes „von Herzen kommt“.
Heart Chamber Orchestra Background
In der westlichen Kultur gilt das Herz als das Zentrum des Gefühls, was in der Sprache mit Redewendungen wie „sein Herz an jemanden verlieren“ oder „das Herz zerreißen“ zum Ausdruck kommt. Im Herzschlag spiegelt sich auch der körperliche Zustand des Menschen. Heftiges Pochen verweist auf körperliche Anspannung, beginnt das Herz wie wild zu klopfen, kann dies ein Zeichen für Angst, Stress oder Erregung sein. Ein langsamer Puls wiederum ist bei tiefer Entspannung oder während des Schlafes zu beobachten. Durch Meditation oder Biofeedback-Training können diese körperlichen Zustände manipuliert werden. Und schließlich ist das Herz ein lebenswichtiges Organ, der Grundstock menschlichen Lebens – und für manche gar der Sitz der metaphysischen Seele.
MusikerInnen, Sensoren und Computer
Die Herzfunktionen der Musiker und Musikerinnen werden von am Körper getragenen EKG-Sensoren erfasst und von einem Computer in Echtzeit analysiert und ausgewertet. Aus den so gewonnenen Daten wird mittels verschiedener Algorithmen eine Partitur komponiert. Diese ist gewissermaßen ein lebendiges Geschöpf, abhängig vom Zustand der Herzen der ausführenden Orchestermitglieder, beeinflussen und verändern doch deren Herzschläge die Komposition und vice versa. Mit anderen Worten: Orchester und elektronische Komposition sind in einer klassischen Feedback-Schleife miteinander verbunden. Die Musik, die zur Gänze während der Performance entsteht, ist Ausdruck dieses Prozesses und spiegelt einen Organismus wieder, der sich aus dem (zirkulären) Wechselspiel von Orchestermitgliedern und Maschine herausbildet.
Transformation, Sonifikation und Visualisierung Heart Chamber Orchestra orientiert sich zwar an der Terminologie der traditionellen Musik, vollzieht aber eine inhaltliche und strukturelle Transformation: Das Konzept des traditionellen Kammerorchesters als kleines Solistenorchester ohne Dirigenten wird von Terminalbeach über diesen Kern hinaus um die Rolle des Komponisten erweitert. Das gleichzeitige Komponieren und Interpretieren macht den zuvor bloß interpretierenden Musiker zum Hermeneuten, zum Handelnden. Da es keine niedergeschriebene Partitur gibt, sondern sich diese im Spiel aus den Herzschlägen generiert, kann es auch keine Probe im ursprünglichen Sinn des Wortes geben. Für das Heart Chamber Orchestra bedeutet „Probe“ daher, die „ungewohnte Herausforderung einer im Moment geschriebenen Komposition zu meistern“. Neben dem musikalischen Output – also der Transformation der Pulse der Musiker und Musikerinnen in Partitur-Fragmente, die von Terminalbeach auf ihren mitten im Zuschauerraum platzierten Computern genau im Moment ihrer Schöpfung behutsam zur Komposition arrangiert werden – bildet auch die visuelle Darstellung dieses Geschehens einen integrierenden Bestandteil der Performance. Die aus den Heart Chamber Orchestra-Daten generierten und auf zwei Bildwände projizierten Computergrafiken schaffen eine andere sinnliche und narrative Ebene. Akustische und visuelle Interaktion lassen Heart Chamber Orchestra zu einem synästhetischen Erlebnis für das Publikum werden: Die Herzschläge der Orchestermitglieder und ihre Beziehung zueinander werden sowohl hör- als auch sichtbar.
Die Kunst der Implikation
Heart Chamber Orchestra ist keine Komposition im herkömmlichen Sinne, sondern von Musik, Kunst und Wissenschaft inspiriert – ein interdisziplinärer Ansatz, der zugleich die Grenzen der zeitgenössischen Praxis innerhalb dieser Disziplinen hinterfragt. Der schöpferische Akt schafft hier nicht einen Gegenstand, sondern definiert einen Raum der Möglichkeiten, eine Struktur, in der sich Prozesse frei entfalten können. Da es keine klare Unterscheidung zwischen dem Autor und dem Interpreten gibt, entsteht ein Lese-/ Schreib-Kontinuum, das nicht von einem Autor allein besetzt werden kann.