Vier Toteninseln
Vier Toteninseln - Der Blinde Spiegel

Zu den Vier Toteninseln
„Kunstproduktion zwischen Traditionaufgreifen und Zufallsoperation", ein Stichwort zur Über­tragungsthematik des diesjährigen musikprotokolls, ist der Schlüssel zu den Vier Toteninseln, die die Vier Ernsten Gesänge von Johannes Brahms als traditionelle Vorlage enthalten.

Ich möchte vorausschicken, dass die Repräsentation der musikalischen Klassik für mich ihre Legitimation nicht in ihrer Reproduktion findet, sondern vielmehr in einem Akt der Rekonstruktion, Bariton einem Vorgang, der einen schöpferischen Moment des Filterns, Kontrapunktierens oder Verwandelns im Sinne der Metamorphose als Gegenwartsbezug voraussetzt. Dies gilt gleichermaßen für ihre Interpretation wie für die kompositorische Reflexion auf die unterschiedlichen Aspekte ihrer Werke.

So gesehen ist dieses Stück für mich durchaus klassische Musik, eine Auseinandersetzung mit der eigenen musikalischen Herkunft im Sinne eines Selbstbildnisses in einem blind gewordenen Spiegel. Die kompositorische Arbeit ist - um im Bild zu bleiben - die Erblindung des Spiegels.

Dies gilt auch für die vier Gesänge von Brahms, einem Alterswerk über die zunehmend verinner-lichte Gewissheit irdischer Vergänglichkeit, und sie wirken wie eine mit Bibeltexten abgesicherte Uferstelle, von der aus der Blick in einen dunklen Raum fällt, einen Raum des Diesseits: nachdem nämlich die Vorstellungen eines Jenseits im Lauf unserer neuzeitlichen Geschichte mit ihren über Jahrhunderte fortschreitenden Säkularisierungstendenzen ebenso wie die Phänomene des Todes in unserer Gegenwart fast gänzlich verdrängt werden und einer Fassade von äußerlich lebensbe­jahender Zerstreuung Platz macht, welche die Sicht auf jeden Bereich außerhalb der eigenen Zeiterfahrung verstellt, ist der Aspekt der Tröstung in der Musik wie ein blinder Fleck, der von uns kaum mehr ausgefüllt werden kann. Böcklins Toteninsel ist hierfür ein passendes Gleichnis: was sich hinter den Gestaden der Insel verbirgt, hinter Stille und Finsternis, ist keine Frage des Glaubens mehr, vielmehr ist sie eine der Projektion, der Fantasie geworden. Der wesentliche Gegenstand ist unsichtbar. Dieser Idee folgt die Musik der Vier Toteninseln. Sie macht die Methode der Überschreibung, der Verbergung, zu einem Aspekt des Variationsprinzips. Sie benutzt das Bild der Hülle für komposi­torische Muster, die auf bestimmten analytischen Betrachtungsweisen des Originals beruhen, und gleichsam zwischen den Falten der Hülle bilden sich Bruchstücke des Originals in paraphrasierter Form neu aus, so wie die Erinnerung etwas Unsichtbares in seiner Gestalt abwandelt. Die vier Sätze stehen für vier Blickwinkel, aus denen die Gesänge betrachtet werden: für den ersten und vierten Satz dient eine Spektralanalyse des ersten und vierten Gesangs (die Auswahl der Teiltöne unterliegt hier in der Tat einer Zufallsoperation) als Ausgangspunkt für eine strukturell bzw. klanglich eigenständige Entwicklung, im zweiten und dritten werden repetitive Muster und synkopisch - irreguläre Rhythmustypen isoliert und auf das Original neu „aufge­setzt". Dabei sind sie eine Referenz an die Eigenart von Brahms, Form aus dem Geist der Struktur zu erzeugen. Die Texte stehen der Musik zur Seite wie biografische Kommentare zu den von Brahms gewählten Versen. Sie enthalten Bilder von erotischer Todessehnsucht (u.a. Lord Byron) und das Schluss­kapitel des Buchs Kohelet, ein geradezu existenzialistisches Traumbild vom Ende der Welt, von Brahms selbst mehrfach verwendet, ein frühes poetisches Dokument über das Verschwinden der Bilder.

Blind, weil unser Zugang zum Geist der vergangenen Musik als mittelbarer keine erlebte Gegen­wart vermittelt, sondern nur mehr unsere eigene persönliche Geschichte im Verhältnis zum Abge­sicherten, Heimatgewordenen, dokumentiert. Wir erkennen nur uns, aber nicht mehr die Zeitge­nossen einer in ihrer uns fremd gewordenen Welt erklingenden Musik. Deren geistige Realitäten, ihre spezifischen religiösen und sozialen Verbindlichkeiten, sind in unserem Bewusstwein längst durch andere ersetzt worden, undoftmals ist das Hören klassischer Werke deshalb erschreckend: erzeugt es doch einen horror vacui angesichts der verlorenen Gedankenwelt, die als schöpferi­scher Urgrund ihrem Verständnis dient.

Dies gilt auch für die vier Gesänge von Brahms, einem Alterswerk über die zunehmend verinnerlichte Gewissheit irdischer Vergänglichkeit, und sie wirken wie eine mit Bibeltexten abgesicherte Uferstelle, von der aus der Blick in einen dunklen Raum fällt, einen Raum des Diesseits: nachdem nämlich die Vorstellungen eines Jenseits im Lauf unserer neuzeitlichen Geschichte mit ihren über Jahrhunderte fortschreitenden Säkularisierungstendenzen ebenso wie die Phänomene des Todes in unserer Gegenwart fast gänzlich verdrängt werden und einer Fassade von äußerlich lebensbejahender Zerstreuung Platz macht, welche die Sicht auf jeden Bereich außerhalb der eigenen Zeiterfahrung verstellt, ist der Aspekt der Tröstung in der Musik wie ein blinder Fleck, der von
uns kaum mehr ausgefüllt werden kann.

Böcklins Toteninsel ist hierfür ein passendes Gleichnis: was sich hinter den Gestaden der Insel verbirgt, hinter Stille und Finsternis, ist keine Frage des Glaubens mehr, vielmehr ist sie eine der Projektion, der Fantasie geworden. Der wesentliche Gegenstand ist unsichtbar.

Dieser Idee folgt die Musik der Vier Toteninseln. Sie macht die Methode der Überschreibung, der Verbergung, zu einem Aspekt des Variationsprinzips. Sie benutzt das Bild der Hülle für komposi-torische Muster, die auf bestimmten analytischen Betrachtungsweisen des Originals beruhen, und gleichsam zwischen den Falten der Hülle bilden sich Bruchstücke des Originals in paraphrasierter Form neu aus, so wie die Erinnerung etwas Unsichtbares in seiner Gestalt abwandelt.
Die vier Sätze stehen für vier Blickwinkel, aus denen die Gesänge betrachtet werden: für den ersten und vierten Satz dient eine Spektralanalyse des ersten und vierten Gesangs (die Auswahl der Teiltöne unterliegt hier in der Tat einer Zufallsoperation) als Ausgangspunkt für eine strukturell bzw. klanglich eigenständige Entwicklung, im zweiten und dritten werden repetitive Muster und synkopisch – irreguläre Rhythmustypen isoliert und auf das Original neu „aufgesetzt“. Dabei sind sie eine Referenz an die Eigenart von Brahms, Form aus dem Geist der Struktur zu erzeugen.

Die Texte stehen der Musik zur Seite wie biografische Kommentare zu den von Brahms gewählten Versen. Sie enthalten Bilder von erotischer Todessehnsucht (u.a. Lord Byron) und das Schluss-kapitel des Buchs Kohelet, ein geradezu existenzialistisches Traumbild vom Ende der Welt, von Brahms selbst mehrfach verwendet, ein frühes poetisches Dokument über das Verschwinden der Bilder.

Johannes Kalitzke
Interpret/innen

Johannes Kalitzke, Komposition, Dirigent
RSO Wien
Thomas Larcher, Klavier

Termine
Location
Helmut List Halle
Konzert
Österreichische Erstaufführung
Dieses Werk gehört zu dem Projekt:
musikprotokoll 2004 | Mundry / Kalitzke | RSO Wien