Photophorus
Photophorus

Spielerische Schwere

Zu Olga Neuwrtihs Komposition Photo­phorus

Eine spielerische Schwere ist in Olgas Neuwirths Musik, eine zeitgemäße Widersprüchlichkeit, die sich hören lässt. Die schillernde Farbigkeit dieser Ästhetik kennt die aufgelösten Texte von Gertrude Stein und William S. Burroughs ebenso wie den rapiden Blick­wechsel des Films bis hin zum Flim­mern von MTV. Auf Licht verwies der Titel ihrer vorhergegangenen Orche­sterkomposition Sans soleil. Zerrspie­gel [1994] - wie auch die dem Anden­ken an den Maler Hartmut Urban gewidmete Partitur von Photophorus, ein Titel, der auf den Namen einer sonderbaren Glühwürmchen-Art verweist. Bereits in Sans soleil spielte Olga Neuwirth mit der von ihrem Kompositionslehrer Murail entwickelten spektralen Kompositionstechnik.

Bestimmte dort die Konfrontation des Orchesters mit den verschiedenen elektronischen Mitteln das Klangbild, so ist es in Photophorus das in verschiedene Grade klanglicher Dichte und Homogenität gebrachte Instrumentarium allein, aus dem wie von einem Ringmodulator erzeugte Harmo­nik oder eben auch zu instrumentalen Obertonspektren geordnete Klänge hervorscheinen. Zurück zu den Glühwürmchen: In Scharen lassen sie sich nachts auf Büschen und Bäumen nieder und beginnen, Licht auszu­strahlen - rhythmisch und synchron.

Feuerrot beleuchten sie die Landschaft und beenden das Schauspiel schließ­lich ebenso gleichzeitig wie sie begon­nen haben. Das Interesse an koordi­nierten Prozessen des Aufbaus und des Verfalls ist es, das Olga Neuwirth diese metaphorische Parallele zu ihrer Musik ziehen lässt. In kürzeren und längeren Wellen verändern sich die Klänge von Photophorus. Als Summe aus vielerlei Einzelereignissen entste­hen komplexe Überlagerungen, das kollektive Ergebnis steht flirrend im Mittelpunkt. Diese Tendenz beginnt schon in den ersten Takten: Die bei­ den Sologitarren, minutiös gegenein­ander verstimmt, ergänzen einander zum verdoppelten, facettenreichen Soloinstrument. Rasch wird dahinter der Orchesterklang aufgebaut, und mit einem kurzen Schlag etabliert sich gegen das anfängliche H der Sologitarren eine Harmonik, die das Stück zunächst prägen wird: Basierend auf dem tiefen C der Tenorbassposaune erklingen immer wieder Ausschnitte aus dessen Obertonspektrum, aufgerauht mit benachbarten Vierteltönen, durch Fülltöne allmählich verdichtet bis hin zur undurchhörbar chaotischen Bewegung. Immer wieder wird dieser dichter werdende Klang mit eingeblen­deten Geräuscheoder hereinbrecheden Reminiszenzen an das H des Anfangs unterbrochen und zerfällt schließlich. Nach diesem Abbruch der harmonischen Verdichtung beginnt eine neue EntwicklungAusgehend von koordinierten Einsätzen entsteht eine zunehmend verengte rhythmische Struktur, die nach einigem Auf und Ab der Lautstärke ebenfalls in einem Fortissimo-Akkord ihr Ende findet.

Kleinräumige Glissando-Wellenbewegungen der Einzelstimmen brechen am Höhepunkt der harmonischen Komplexität wiederum im Fortissimo ab. Aus dem Nachklang heraus beginnen die zwei Sologitarren und versetzen schließlich das ganze Orchester in Bewegung. In immer dichter aufeinan­derfolgenden Anläufen schließen sich die Instrumente zusammen und finden zu einem Fortissimo, nach welchem nichts als Geräusch und ein Rest ner­vöser Bewegung übrigbleibt. Im stati­schen, unwirklichen Klang geriebener Gläser verliert sich die Bewegung:

Sublime Lautstärkeänderungen und verzahnte Überlagerungen, gelegent­lich durch Attacken aus dem Gleichge­wicht gebracht, bilden eine in sich leicht schwankende Fläche, auf der das Orchester zur Ruhe kommt. Wie­ der wird ein Klangspektrum etabliert - diesmal ausgehend vom tiefsten B der Tenorposaune - das zunehmend in tiefere Regionen und dort wieder in Bewegung gerät. Von neuem: Abbruch, und mit einem Schlag ist die Homogenität wieder dahin: Leise „morsen" die Sologitarren, die tiefen Orchesterklän­ge sinken ab, die hohen schwanken; nach einem letzten, unvermittelten Tuttischlag bleibt nur ein verblassen­ des Nachbild und das Rauschen der E­-Gitarren zurück. Im Gemisch von exal­tierter Eigendynamik und auf ein Ende ausgerichteter Entwicklung, irgendwo zwischen plötzlichem Schnitt und absehbarer Unterbrechung, entsteht die gestenreiche Dramaturgie von Photophorus. Das Hin und Her der Einzel­ teile ist mit zunehmender Deutlichkeit dem Auf und Ab des Ganzen anzuhören: Mit kleinen Wellenbewe­gungen - durch scharfe Unterbrechun­gen zunächst nur in andere Bereiche verlagert - werden die hoch­ gepeitschten Wellen des gesamten Orchesters vorgezeichnet, und selbst die ständigen Zusammenbrüche bilden inmitten aller Verwandlungen einen lebhaften Puls. Aber nochmal zu den Glühwürmchen: In einem Reisebericht aus Indien heißt es 1579: Among these trees, night by night, did show themselves an infinite swarme of fierie seeming wormes flying in the aire, whose bodies [no bigger than an ordi­narie flie] did make a shew, and giue such light as euery twigge on euery tree had been a lighted candle, or as if that place had beene the starry sphere." Das Unwirkliche, Unwahrscheinliche wahrnehmbar zu machen - „that for an instant the exact outline of all the bushes stands prominently forward, - and next moment all is jetty dark - darker from the momentary illumination that preceded." (1865)

Bernhard Günther
Interpret/innen

Gitarre: Gunter Schneider, Burkhard Stangl
Radio Symphonieorchester Wien Dirigent: Dennis Russell Davies

Termine
Location
Grazer Congress – Stefaniensaal
Konzert
Österreichische Erstaufführung
Dieses Werk gehört zu dem Projekt:
musikprotokoll 1998 | Wang/Neuwirth