Restless
Genau hinzuhören und zuzusehen erfordert viel Zeit und innere Bereitschaft. Fokussiertes Zuhören ermöglicht uns jedoch, die Welt genauer zu erfassen und auch einmal den kleineren Geschöpfen, die mit uns auf diesem Planeten leben, unsere volle Aufmerksamkeit zu schenken. Die Lebewesen, die wir normalerweise um uns herum sehen, geben Töne oder Laute von sich. Wir kennen z.B. Vogelgezwitscher, wissen aber in den seltensten Fällen, um welchen Vogel es sich handelt. Wir hören einen Frosch, wissen aber nicht, welche Spezies. Kleine Lebewesen, wie Plankton, Fische und Insekten, sind auch unter Wasser alles andere als stumm, allerdings produzieren sie ihre Laute an Orten, zu denen wir nur schwer hingelangen. Meine Komposition Restless basiert auf den Stimmen und Lautäußerungen von Krebstieren, die auf der ganzen Welt verbreitet sind und im Wasser leben – zumindest solange ihnen die fortschreitende Versauerung der Ozeane aufgrund der hohen CO2-Emissionen nicht dermaßen zusetzt, dass sie ihr Außenskelett nicht mehr ausbilden können …
Einige der ebenfalls auf dem ganzen Planeten heimischen Unterwasserinsekten sind im Verhältnis zu ihrer Größe die lautesten Tiere, die wir kennen. Das winzigste Geschöpf kann also einen heillosen Lärm machen. Der Blauwal wiederum ist nicht nur das größte, sondern auch das lauteste Lebewesen. Ein anderer Wal, der Buckelwal, produziert Gesänge, die 40 Minuten dauern können und jedes Jahr in neuen Variationen ertönen, wenn die Tiere in die Karibik wandern, um sich fortzupflanzen und ihre Jungen zur Welt zu bringen. Ein Ozean, in dem man nur die Geräusche von Schiffsmotoren und seismischen Untersuchungen hört, ist ein unheimlicher Ort. Ein toter Ozean. Das Leben im Meer war zur Zeit Salvators bestimmt vielfältiger und artenreicher als heute, somit dürften auch die akustischen Lebenswelten unter Wasser um einiges komplexer gewesen sein. Der Erzherzog hätte also Krebstiere gehört, Fische, die ihr Habitat verteidigen, die Gesänge der Wale oder Echoortung, die in seinem Schiff nachhallte. Ich gehe jedenfalls davon aus, habe ich doch das alles sogar ohne Hydrophon gehört, als ich unter Deck in einer Schiffskabine lag. Auch Salvator lauschte dem Klang des Meeres und seiner Lebewesen …
Jana Winderen
Jana Winderen ist eine audiovisuelle Künstlerin aus Norwegen, die vor ihrem Kunststudium, das sie am Goldsmiths College in London absolvierte, an der Universität in Oslo Mathematik und Chemie studierte und dabei auch die ökologischen Lebensbedingungen von Fischen erforschte. Im Sommer 2014 wurde der Park Avenue Tunnel in New York City mit ihrer Installation DIVE bespielt, 2013 präsentierte das MoMA ihre Installation Ultrafield. Jana Winderen ist Artist-in-Residence der TBA21-Academy und veröffentlicht ihre Klangarchitekturen auf Touch. 2011 wurde sie mit der Goldenen Nica des Prix Ars Electronica in der Kategorie Digital Musics & Sound Art ausgezeichnet. Ihre künstlerische Tätigkeit umfasst neben immersiven Multi-Channel-Installationen auch Konzerte mit live gemischtem Tonmaterial. Sie hat ihre Werke weltweit präsentiert und lebt und arbeitet zurzeit in Oslo.