Virus #3.6.1 – Twilight Zones
Virus #3.6.1 – Twilight Zones

Susanna Niedermayr: Bei Deiner Werkreihe Virus bist immer Du die Wirtin, die Instrumentalist:innen sind die Viren, die an die Wirtin anzudocken versuchen, um schließlich in diese einzudringen. Es handelt sich dabei um eine Kompositionsmethode, bei der die von Dir elektronisch in Echtzeit generierte Audiopartitur im Zentrum steht. Die Instrumentalist:innen hören diese Audiopartitur über Lautsprecher, die direkt neben ihnen positioniert sind. Sie sind aufgefordert, das Gehörte möglichst genau zu imitieren.

Elisabeth Schimana: Was eigentlich nicht möglich ist! Die Musiker:innen wissen, mit welchen Tonhöhen ich arbeiten werde und sie kennen auch die grobe Struktur des jeweiligen Stückes. Ich arbeite viel mit minimalen zeitlichen Verschiebungen, also mit der Generierung von Patterns. Ein Pattern entsteht, wenn ich etwa zwei verschiedene Frequenzen mit einem jeweils eigenen Puls verwende. Verändere ich einen Klangparameter, dann ändert sich auch das Pattern. Die Musiker:innen müssen immer aufmerksam sein, ganz genau hinhören. Wir hören schnell einen Loop, unser Gehirn vereinfacht gerne, das hilft uns, sonst würden wir die Welt wahrscheinlich gar nicht aushalten. Die Musiker:innen müssen immer wieder innehalten, eine Pause machen, um sich neu zu orientieren. Und diese Patterns sind auf akustischen Instrumenten, mit denen man nicht zwei Töne gleichzeitig erzeugen kann, gar nicht so leicht zu reproduzieren. Die Musiker:innen müssen einen Weg finden, damit umzugehen. Sie müssen immer Entscheidungen treffen. Oft gebe ich auch ganz bewusst Strukturen vor, die man genauso eigentlich gar nicht spielen kann.

SN: Was ist die Anforderung an die Wirtin, an dich selbst?

ES: Natürlich muss viel programmiert sein, weil ich ja schnell sein muss. In der Mikrostruktur kann ich aber immer auf die Instrumentalist:innen reagieren. Ich kann etwa die Dynamik verändern und entscheiden, wie lange ich mit einem bestimmten Oszillator spiele, wann ich den nächsten hineingebe. Dadurch muss auch ich die ganze Zeit extrem aufmerksam sein. So entsteht eine rekursive Feedbackschleife.

SN: Jedem Virus liegt eine kompositorische Idee zu Grunde. Im Falle des Virus#3.6.1 – Twilight Zones arbeitest Du besonders viel mit kritischen Bandbreiten.

ES: In einer kritischen Bandbreite ist es nur schwer möglich, eine Tonhöhe von der anderen zu unterscheiden, manchmal geht das auch gar nicht. In den hohen Frequenzbereichen werden die kritischen Bandbreiten immer schmäler, in den tiefen immer breiter. Wir sprechen also von diesem psychoakustischen Phänomen, wenn man den Eindruck hat, dass die Musik plötzlich dissonant klingt, weil sich die Klänge scheinbar aneinander zu reiben beginnen.

SN: Die kritische Bandbreite steht metaphorisch für ein gesellschaftspolitisches Phänomen, das man derzeit an vielen Orten der Welt beobachten kann …

ES: Wir befinden uns im Moment in einer Twighlight Zone, in der wir nicht genau wissen, wo wir hinsteuern. Es könnte in einen anderen Morgen gehen, wir könnten uns aber auch plötzlich in einem autokratischen System wiederfinden. Wir sehen ja gerade, wie ein autokratisches System nach dem anderen wieder entsteht und wie brutal diese Regime sind; wie sie das, was wir als Gesellschaften in Hunderten von Jahren aufgebaut haben, einfach zerstören. Das passiert auch in Staaten, die demokratisch sind, in denen die Menschen wählen gehen können. Welche Bedürfnisse gibt es in diesen Gesellschaften? Das ist für mich nicht nachvollziehbar. Und das ist, wie ich glaube, ein Zustand, der für viele sehr bedrückend ist, weil es einfach noch nicht klar ist, wo es hingehen wird und wie man sich angesichts dieser Entwicklung am besten verhalten sollte. Es kann in die Nacht hineingehen, in das Finstere oder Dystopische, es kann aber auch in diesen anderen Morgen gehen, in eine vielleicht etwas andere Form der Demokratie oder gesellschaftspolitischen Ordnung. Es ist alles möglich. Wir können es nicht wissen, aber als Künstler:innen können wir Stimmungen aufnehmen, die wir in unserer Umgebung wahrnehmen, um sie – wie in meinem Fall – etwa in Klang zu übersetzen.

Interview: Susanna Niedermayr
Interpret/innen

Andrii Pavlov, Violine
Ludwig Lusser, Orgel
Elisabeth Schimana , Komposition und Live-Elektronik

Black Page Orchestra
Igor Gross, Schlagwerk
Anna Guggenberger, Tuba
Aleksa Marinković, Fagott
Florian Fennes, Bassklarinette
Irene Frank, Violoncello
Fani Vovoni, Violine

Kooperationen

Eine Auftragskomposition (Neufassung) von Radio Österreich 1 und dem ORF musikprotokoll.

Termine
-
Location
Leechkirche
Konzert
Uraufführung
Dieses Werk gehört zu dem Projekt:
musikprotokoll 2024 | Virus 3.6.1 – Twilight Zones