Heinali im Gespräch mit Susanna Niedermayr
Susanna Niedermayr: Du schlägst in Deiner Musik eine Brücke von sehr alter zu ganz neuer Musik, was fasziniert Dich an alter Musik?
Heinali: Oberflächlich betrachtet scheint alte Musik nicht wirklich komplex zu sein, aber wenn man sich genauer mit ihr beschäftigt, stellt man fest, dass sie sogar sehr komplex ist. Gleichzeitig ist sie aber auch sehr zugänglich, man kann leicht eine emotionale Verbindung zu ihr aufbauen. Das fasziniert mich. Ich interessiere mich besonders für die Polyphonie. Und ich habe nach Wegen gesucht, wie ich mit alter Musik arbeiten könnte. Ich habe versucht, Kontrapunkt zu lernen und selbst polyphone Musik zu komponieren. Aber das war nicht das, was ich wirklich wollte. Ich wollte nicht die Musik von damals einfach nur kopieren, das war mir zu wenig. Als ich dann angefangen habe, mit modularem Synthesizer zu arbeiten, habe ich entdeckt, dass sich dieser ganz hervorragend zum Improvisieren von polyphoner Musik eignet.
SN: Wie gehst Du hier vor?
H: Am Anfang steht immer die künstlerische Forschung. Zuerst einmal studiere ich die verschiedenen Musiken des Mittelalters und der Renaissance. Daraufhin versuche ich die Techniken und Methoden, die ich dabei finde, auf meine Arbeit mit dem modularen Synthesizer zu übertragen. Das funktioniert manchmal sehr gut und manchmal gar nicht. Nehmen wir zum Beispiel die Organa der Notre-Dame-Schule. Wie auch die Komponisten im 13. Jahrhundert verwende ich Gregorianische Choräle als Basis der Komposition. Diese Choralstimme nennt man den „Tenor“. Das betont man auf der ersten Silbe. Es hat also nichts mit einer Stimmlage zu tun, sondern kommt vom lateinischen Wort „tenere“, also „halten“. Die Choralmelodie wird dabei extrem gedehnt, diese langen Töne bilden die Basis der Stücke. Darüber wurden eine bis vier weitere, schnellere, polyphone, mehrstimmig verzierende Stimmen gesungen. Lateinisch nannte man diese Stimmen dann duplum, triplum et cetera.
Diese zeitlich gedehnten Gregorianischen Choräle bilden auch die Basis meiner Synthesizer-Musik. Die Melodien werden bei mir natürlich nicht gesungen, sondern von einer Maschine generiert.
Aber auch bei meiner Musik bauen weitere Stimmen auf dieser Grundstimme auf. Das Verhältnis zwischen den einzelnen Stimmen ist aber ein anderes. Die Komponisten damals hatten eine genaue Vorstellung davon, wie dieses Verhältnis aussehen sollte, sie haben es in ihrer damaligen Notenschrift auch genau notiert. Ich aber improvisiere, ich brauche hier mehr Freiheit. Andererseits wurde wahrscheinlich auch damals viel improvisiert. Die Partituren wurden vermutlich manchmal mehr als Richtungshinweise gelesen. Soweit wir das heute wissen, haben viele Sänger spontan Melodien ersonnen, die sie dann mit der Grundstimme verwoben haben. Letztendlich kommt meine musikalische Herangehensweise dem Komponieren von damals also doch recht nahe.
SN: Kannst Du noch einige weitere Kompositionstechniken nennen, mit denen Du arbeitest?
H: Ich arbeite zum Beispiel auch mit imitativer Polyphonie, also mit wiederholten, immer gleichen Rhythmusmodellen und jeweils anderen melodischen Floskeln in mehreren polyphonen Stimmen. Das nennt man „isorhythmische Motette“. Ich verwende aber auch monophone Melodien, die an die Kompositionen von Hildegard von Bingen erinnern könnten. Ich verknüpfe also ganz unterschiedliche Kompositionsmethoden aus den verschiedensten Perioden alter und polyphoner Musik. In gewisser Weise ist meine Musik anachronistisch. Für mich macht das Sinn, denn ich möchte die alte Musik ja nicht mit neuen elektronischen Klangfarben wiederauferstehen lassen, sondern ich greife einige dieser alten Kompositionsmethoden auf, um neue Sinnzusammenhänge und Bedeutungen entstehen zu lassen.
SN: In Graz wirst Du zum ersten Mal mit einem mehrkanaligen Lautsprecher-System arbeiten.
H: Ich hatte bereits vor langem die Idee, diese vierstimmige, polyphone Musik, die an alte vierstimmige Motetten erinnert, räumlich verteilt aufzuführen, um die vier Stimmen deutlich voneinander getrennt hören zu können. Ich wollte immer ausprobieren, wie diese Musik klingt, wenn ich sie mit einem vierkanaligen Lautsprecher-System präsentiere. Bis jetzt hatte ich nicht die Gelegenheit dazu, ich freue mich also schon sehr darauf.