deranged orchestra
deranged orchestra

Ein unmenschliches Pfingstoratorium

 

Susanna Niedermayr: Was spricht Dich an diesen Muschel-Instrumenten im Konkreten an?

 

Stefan Fraunberger: Dieses Instrument wurde weder vom Menschen erdacht noch geschaffen. Die Muscheln sind, so sagt man, im Meer 1000 Meter unter der Wasseroberfläche gewachsen, ohne jegliches menschliches und kulturelles Zutun. Der Mensch hat lediglich das Ende der Muschel abgeschnitten, dort ist nun der Ansatz des Blasinstrumentes; dort tritt die Luftsäule in den Wirbel ein, der sich konzentrisch im Goldenen Schnitt ausbreitet und so eine massive Verstärkung des Tones bewirkt. Man kann sich das wie einen Tornado vorstellen. Es geht mir sehr stark darum, hier ein Instrument zur Verwendung zu bringen, das eigentlich unmenschlich ist. Hier spricht der selbst-erwachsene Wirbel in Zungen. Also Zungen im Sinne eines Pfingstoratoriums. Man könnte das „deranged orchestra“ auch als unmenschliches Pfingstoratorium betrachten.

 

 

SN: Der Name des „deranged orchestra“ verweist auf das Buch „The Great Derangement“ von dem aus Kalkutta stammenden Sozialanthropologen und Schriftsteller Amitav Ghosh. Wo siehst du hier Parallelen zu Deiner musikalischen Arbeit?

 

SF: Wenn der Mensch zum Thema Katastrophismus arbeitet, sich mit Dingen beschäftigt, die er sich nicht erklären kann, die für ihn unverständlich sind, dann kommen dabei so Kreaturen wie Frankenstein heraus, das zeigt Ghosh auf. Oder Phänomene werden in den religiösen Bereich abgeschoben, man behauptet, dass dies ein Fingerzeig Gottes sei. Der Mensch hat alle möglichen Formen gefunden, um sich nicht mit den Konsequenzen seines eigenen Tuns konfrontieren zu müssen. Gosh meint, dass zukünftige Generationen unsere Zeit als „deranged“ beschreiben könnten. Also „deranged“ im Sinne von Störung, Umnachtung und Durcheinander, das sind die Begriffe, die man dazu im Wörterbuch findet. Jedenfalls können wir den größeren Kontext mit unserer menschlichen Sprache nicht begreifen. Wir haben es hier mit einer Sprache von Abläufen, Zeitlichkeiten und Zuständen zu tun, die wir höchstens erfahren, aber mit unserem menschlichen Verstand nicht fassen können. Beim „deranged orchestra“ geht es nun darum, auf einer musikalischen Ebene eine unmenschliche Protest-Sprache aus dem Möglichkeitshorizont herauszuschälen.

Susanna Niedermayr
Interpret/innen

Komposition: Stefan Fraunberger (AT)

ensemble zeitfluss (AT)

Clemens Frühstück

Barbara Gatschelhofer

Christian Godetz

Bernhard Holl

Siegfried Koch

Franz Kreiner

Arnold Plankensteiner

Thomas Tockner

Kooperationen

In Kooperation mit SHAPE – Sound, Heterogeneous Art and Performance in Europe.
Gefördert durch das Programm „Creative Europe“ der Europäischen Union.
Stefan Fraunberger ist SHAPE Artist 2017.

Termine
Location
Helmut List Halle
Konzert
Dieses Werk gehört zu dem Projekt:
musikprotokoll 2017 | deranged orchestra