San Teodoro 8
San Teodoro 8 (un omaggio)

Im Zuge meiner Recherchen in der Fondazione Isabella Scelsi in Rom für das Projekt Giacinto Scelsi Revisited im Jahr 2011 hatte ich die Möglichkeit, den kompletten zu dem damaligen Zeitpunkt digitalisierten akustischen Nachlass von Giacinto Scelsi zu hören, das waren so an die 600 Stunden Klangmaterial. Neben meiner konzeptionellen Arbeit für das Projekt eröffnete sich mir auch die Möglichkeit, ein neues Stück auf Basis der Scelsischen Klangdokumente zu machen.

Der Umgang mit historischem Klangmaterial wirft unausweichlich die Frage auf, wie man sich ihm nähert. Die Qualität dieser Aufnahmen ist bestenfalls auf Homerecording-Niveau; was mir aber bedeutend erscheint, ist der spezifische Ondiolaklang, der etwas eigentümlich Trashiges an sich hat. Besonders angesprochen hat mich die unglaublich individuelle und manchmal auch komplexe Art, wie Scelsi es verstand, dem Ondiolaklang eine Unverwechselbarkeit  einzuhauchen.

Seine Raffinesse der Phrasierung, Artikulation und des Vibrato, die spektakulär fein gerasterte Mikrotonalität, die oft elegante Art, die genannten Parameter zu variieren – und eben die „herausgelöste“ Zeitlichkeit mit einem weitgehenden Verzicht auf ein Metrum: All das macht dieses Material zu etwas Eigentümlichem und Autonomem. Auch deswegen, und mehr noch der Liebe und des Respekts wegen – un omaggio!

Das klanglich Spezifische der Ondiolen bleibt ebenso wie Scelsis unverkennbarer Spielgestus in meinem Tonbandstück, mit dessen Hören dieser Auftritt beginnt, unangetastet. Weder die Zeitstrukturen noch die Tonhöhen wurden verändert. Die einzigen klanglichen Manipulationen, die ich vorgenommen habe, sind Entrauschungen, Filterungen und dynamische Kompression, um die spezielle Patina der Originale nicht in Frage zu stellen. Zusammenhängende ein- und zweistimmige Passagen, die ich nach charakteristischen harmonischen und zeitlichen Aspekten ausgewählt und angeordnet habe, bestimmen den formalen Verlauf von San Teodoro 8. Scelsis Klänge sollten ihr Eigenleben behalten, ohne in einer abstrakten formal-musikalischen Matrix zu etwas ungewollt Fremdartigen zu mutieren. Man könnte von einem Remix sprechen, nicht eines spezifischen Stückes, sondern von Klangmaterial, das in einem Zeitraum von 25 Jahren entstanden ist.

Die Aufführung, der Auftritt beginnt mit dem Hören dieses Tonbandstückes. Nach 24 Minuten steigen nacheinander die Musiker ein, es beginnt ein Auflösungsprozess und der Gestus wird individuell.

Die Idee ist eine Mehrfachperspektive: Die Tonbandkomposition ist meine persönliche Scelsi-Betrachtung und Weiterführung, diese Betrachtung wird abermals durch die vier Musiker relativiert, die sich von einem gemeinsamen, organisierten Prozess mit Fortdauer des Stücks immer mehr in Richtung Individualität bewegen. Die auskomponierten Teile beziehen sich explizit auf das Tonband, der Weg der Improvisation lässt die Intensität, den Betrachtungswinkel und das Wegdriften offen.

Man könnte das Stück als Teil einer Serie von Projekten sehen, die eigentlich mit unserem Projekt Black Friday – eine 2002 von Christian Scheib ins Leben gerufene, dreiteilige, konzeptionelle Konzertserie – begannen, also der mehr oder weniger expliziten Durchdringung eines sehr genau definierten, musikalischen Ausgangspunktes, der vornehmlich durch die Art der Organisation und die Individualität der Protagonisten gesteuert wird.

Uli Fussenegger
Audiodoku
Audio file
Uli Fussenegger "San Teodoro 8" - ensemble recherche © ORF musikprotokoll, 2015
Interpret/innen

Uli Fussenegger, Kontrabass, Komposition, Tonband
Andreas Lindenbaum, Violoncello
Ernesto Molinari, Kontrabassklarinette
Martin Siewert, Gitarren, Devices

Kooperationen

Koproduktion von ORF musikprotokoll und ZKM | Zentrum für Kunst und Medientechnologie Karlsruhe mit finanzieller Unterstützung der Ruhrtriennale (UA, Graz 2003).

Termine
Location
Helmut List Halle
Konzert
Dieses Werk gehört zu dem Projekt:
musikprotokoll 2015 | Scelsi Projekt