Susanna Niedermayr: Was verbindet dich und Martin?
Andrey Kiritchenko: Ich glaube, was uns verbindet, ist die unkonventionelle Verwendung unserer Instrumente. Die Art und Weise, wie Martin Schlagzeug spielt, mag ich sehr. Er erkundet das Klangspektrum seines Schlagzeuges mit allen möglichen Gegenständen und lässt dabei eine Musik entstehen, die sowohl rhythmisch als auch atmosphärisch ist. Mitunter meint man sogar Melodien zu hören.
SN: In welche Richtung wird euer Konzert beim musikprotokoll gehen? Worauf habt ihr euch bei deinem Besuch in Oberösterreich geeinigt?
AK: Ich wollte in dieser Kollaboration etwas ganz Neues ausprobieren. Wir arbeiten ja beide rhythmisch, und so habe ich einen sehr, sehr schnellen Rhythmus vorbereitet, der beinahe 280 BPM hat. Martin fand die Idee gut, wir haben dann aber beschlossen, dass es auch offenere, eben atmosphärischer angelegte Flächen innerhalb des Konzertes geben sollte, wo improvisiert werden kann. Es wird also eine Mischung werden.
SN: Immer wieder etwas Neues auszuprobieren, zieht sich wie ein roter Faden durch dein musikalisches Schaffen ...
AK: Ich glaube, dafür sind wir auf der Welt, um uns weiterzuentwickeln. Ständige Weiterentwicklung ist mir sehr wichtig. Mit jedem neuen Album versuche ich, ein Stück weit zu wachsen.SN: Du bist in einer sehr musikalischen Familie aufgewachsen, deine Eltern wollten dir dann aber keinen Gitarrenunterricht finanzieren, das scheint dich noch mehr angespornt zu haben ...
AK: Ich habe früh gelernt, für das, was mir wichtig ist, im Leben zu kämpfen, letztendlich war das gut. Auch habe ich so meinen ganz eigenen Zugang zu den Instrumenten gefunden. Und ich habe eine Freude an der Klangforschung entwickelt.
SN: Wann hast du begonnen, dich für elektronische Musik zu interessieren?
AK: Nachdem die Ukraine nach der Volksabstimmung 1991 ihre Unabhängigkeit erlangt hatte, wurden unsere Medien von der westlichen Kultur regelrecht überschwemmt. Es wurden einige kommerzielle Radiostationen gegründet, die nun elektronische Musik spielten, und ich dachte mir: Wow, das klingt so komplett anders, das möchte ich mir näher anschauen. Eine der ersten Platten, die ich damals gehört habe, war das Album Neroli von Brian Eno, das hat mich sehr beeindruckt. Dieser Mann hatte den Mut zu sagen: Das ist Musik, weil ich sage, es ist Musik. Er hat alle Regeln gebrochen und das auf ganz großartige Weise.
SN: Brian Eno ist ja der Gründungsvater des Ambient, und auch du machst heute vorwiegend Ambient-Musik, was spricht dich hier so sehr an?
AK: Ich habe mich immer für die kleinen subtilen Details interessiert, sowohl in meiner eigenen Musik, als auch in der Musik der anderen. Vielleicht ist das nun ein Klischee, aber Ambient ist für mich eine sehr entspannende Musik, die mich gleichzeitig fokussiert.
SN: Ich persönlich finde ja, dass du wirklich schöne Musik machst – in die du dann aber kleine, irritierende Momente einbaust, die einen aus dem kontemplativen Hören immer wieder herausreißen. Warum?
AK: Musik, die einfach nur schön ist, ist mir zu steril. Ich möchte Musik machen, die menschlich ist, und nichts im Leben ist perfekt. Diese kleinen irritierenden Momente baue ich also ein, um eine etwaige Idylle gleich wieder zu zerstören. Ich glaube, es ist ehrlicher so.
SN: Erzähl uns zum Abschluss bitte noch ein bisschen etwas über dein aktuelles Album Chrysalis, das 2012 auf deinem Label Nexsound erschienen ist. Das ist ein sehr schöner Titel, worauf bezieht er sich?
AK: Zwischen dem Erscheinen von Chrysalis und dem Vorgängeralbum Misterrious liegt eine große Zeitspanne, ganze vier Jahre, in denen ich mich vor allem auf die
Zusammenarbeit mit der ukrainischen Volksmusikgruppe Orja konzentriert habe. Das war sehr bereichernd, und ich hatte das Gefühl, dass ich mich in etwas Neues verwandle. Ich habe mich daraufhin gefragt, ob es auf der Welt Lebewesen gibt, die sich in ihrem Leben eben verwandeln. Und ja, die gibt es, ein solches Lebewesen ist etwa der Schmetterling. Der Schmetterling hat eigentlich zwei Leben in einem, eines als Raupe und nach der Verpuppung – ein Transformationsprozess, der in der Biologie auch mit dem Begriff Chrysalis bezeichnet wird – eines als Schmetterling. Das ist ein wunderbares Konzept. Ich habe also nach einem Weg gesucht, wie dieser persönliche Transformationsprozess, den ich in den vier Jahren durchlaufen habe, auf den Musikentstehungsprozess angewendet werden kann.
Und so verwandeln sich nun die Klangspuren, die ich mit akustischen Instrumenten aufgenommen habe, in elektronische Musik, und die elektronische Musik verwandelt sich in akustische.