Let’s play Graz!
Let’s play Graz!: Was hörbar uns umgibt. - Im Hier und Jetzt & Dann und Dort

Dieser Tage scheinen viele Menschen Musik in ihren Kopfhörern umher zu tragen, um dieser eben nicht zu, sondern von ihrer physischen Umgebung wegzuhören; und von dieser, ihrer konkreten Umgebung hören sie weg, um einer – medial tragbar gemachten – Gemeinschaft ihrer Wahl durch Musik anzugehören. In einer Welt, in der mediale Absenz immer stärker zur Norm wird, stellen Personal Soundscapes das, was wir um uns hören und wie wir dies tun, ins Zentrum unserer Aufmerksamkeit. Was hören wir? Was ist unserer Umgebung klingend eingeschrieben? Welche Ansprüche stellen wir und andere in unserem intentionalen und nicht-intentionalen Erklingen?

Der Klang der Dinge versteckt sich im Alltag meist hinter, genauer gesagt in unserem Gebrauch der Dinge. Eine Straßenbahn fährt ein, wir hören dies und richten unser Tun danach. Am Klang der Dinge interessiert uns also eigentlich nie der Klang, sondern dessen Bedeutung für unsere Navigation von Welt. Der Widerhall unserer Schritte in der Umgebung zum Beispiel teilt uns Vielschichtiges über die Beschaffenheit des Terrains und des architektonischen Umraums mit. Dies wird im Gebrauch unserer Stadt jedoch kaum je thematisch. Wenn, dann meist in atypischen Situationen, in den Deviationen von der gewohnten Norm.

Etwas, das helfen kann, sich des Klangs der Dinge und Vorgänge bewusster zu werden, ist, diese aufzunehmen. Durch das Aufnehmen und Abspielen über Lautsprecher werden Klänge aus ihren alltäglichen Zusammenhängen, in denen sie sonst zu verschwinden pflegen, physisch wie medial herausgerissen. Das, was Umgebung war, wird deren hörbares Abbild. Etwas, das durchtränkt war von physikalischer Kausalität, wird frei schwimmender Klang ohne Ort; ein Hörbares, in das Gründe und Bedeutungen erst hörend hineingetragen werden müssen. Denn mit seiner Ortlosigkeit stellt sich auch Freiheit von seinen ursprünglichen Bezügen ein.

Während die allgegenwärtigen mp3-Abspielgeräte, die zumeist auch telefonieren und Videos zeigen können, stete Ablenkung von der eigenen (Klang-)Umgebung ermöglichen, bieten sie, da sie alle ja auch aufnehmen können, paradoxer Weise auch Möglichkeiten, sich direkt und thematisch mit seinem individuellen Umraum auseinanderzusetzen. Die Geschichte der künstlerischen Auseinandersetzung mit der Klangumgebung, dem Soundscape, ist, trotz aller immer wieder geäußerter Kritik am Grundrauschen, das gerade Technik in unser Leben bringt, eng mit den technischen Möglichkeiten zur Klangaufnahme und deren Entwicklungen verbunden. Ohne die breite und einfache Verfügbarkeit von Aufnahmegräten wäre Soundscape Research in seiner heutigen Verbreitung  kaum denkbar. Es zeigt sich also ein recht eigentümliches Verhältnis zwischen Technik und Klangumgebung sowie deren Reflexion in der Klangkunst. Zum einen verändert sich mit den alltäglich verwendeten Technologien auch die Klanglandschaft urbaner wie ländlicher Räume, zum anderen ist es aber eben dieser technische Fortschritt, der eine intensivere Auseinandersetzung mit dieser Veränderung ermöglicht.

Im Aufnehmen, im Überbringen des Schallsignals aus seiner Umgebung auf ein Aufnahmemedium und mittels dessen an einen anderen Ort, in eine andere Situation, lösen wir es von seinem angestammten Platz in Raum, Zeit und Kontext heraus. Allein schon dadurch ist das, was auf dieser Aufnahme zu hören ist, fundamental verändert. Unabhängig von jeglicher Wertung dieses Vorganges ergibt sich: Aus dem hörbaren Aspekt eines gewissen Zeitabschnittes, eingebettet in die Vollzüge meines Lebens, wird ein Klangobjekt, dem man dann zuhören kann, sollte man dies wollen. Die Art des Hörens verändert sich durch diese mediale Transposition grundlegend, die Benutzung eines hörend wahrnehmbaren Teils der Umgebung weicht dem Zuhören.
Welche Möglichkeiten ergeben sich, wenn man die Welt aus ihrem Klang schüttelt? Und was passiert, wenn man sich selbst tagtäglich medial aus einer eigenen Umgebung schütteln lässt? Denn natürlich ist dieses mediale Verlassen der eigenen Umgebung in vielerlei Hinsicht auch ein Erweitern seiner Welt. In einer Zeit der andauernden medialen Welterweiterung kann es nur eine Aufgabe von Personal Soundscapes sein, auf die Einzigartigkeit des körperlichen Hier und Jetzt zu verweisen. Ebenso muss auf die nicht überblick- wie leicht überhörbare Vielfalt an Möglichkeiten hingewiesen werden, die sich aus unserem gesellschaftlichen wie persönlichen Umgang mit medialen An- und Abwesenheiten ergeben. Das Freistellen eines Klanges aus seinen alltäglichen Beziehungen ist paradoxerweise also eine gute Art, Dinge hörbar zu machen, die dann auch in situ, also vor Ort, für die Teilnehmer/innen hörbar werden und bleiben. Wer einmal seine Stadt nach hörbaren Kriterien durchstreift und Orte nach ihren Klängen und Resonanzen ausgesucht hat, hört danach mehr.
Im Nachdenken über Hören und die hörbare Umgebung wird eben nie nur Klang reflektiert, sondern immer auch die eigene Wahrnehmung, die Politik der Gemeinschaft, Formen von Medialisierung sowie medialer An- und Abwesenheiten. Das, was im Besonderen deutlich wird, ist also, dass sich Hören niemals ausschließlich auf Klang oder Schall bezieht, sondern – in welchen Kontexten dieses Hören auch stehen mag –  es immer ein sich hörend Einlassen auf ein Weltganzes in all seinen Bezügen und Dynamiken darstellt.
Im vergangenen Jahrhundert kam es zu großen Erweiterungen dessen, was man unter musikalischem Material verstand. Harmonien wurden zunächst immer chromatischer und kulminierten in einer (vermuteter Weise unumgänglichen) Auflösung der Tonalität. Seit Einführung der Tonbandaufnahme Mitte des 20. Jahrhunderts mit ihren Techniken von Schnitt, Montage und Mischung wurde es möglich, alles Hörbare, woher es immer auch stammen möge, in Kompositionen einzubinden.
Musik, auch wenn sie mit Aufnahmen alltäglicher Geräusche agiert, ist immer intentionale Kommunikation. So mag die Aufnahme eines vorbeifahrenden Traktors, abgespielt in einer Konzertsituation, wunderbar klingen. Der Traktor wurde dadurch jedoch nicht zum Musikinstrument. Er und seine Lenkerin waren nicht musizierend, sondern transportierend unterwegs und ihr Ziel und Zweck war nicht eine musikalische Aussage, sondern die Bewegung von Gütern. Aber natürlich sind auch dieser Traktorfahrt wie ihrer Aufnahme vielfältige Aspekte menschlicher Kommunikation eingeschrieben, und wenn es nur wäre: „Hier komme ich.“ Selbst die sinnentleertesten Geräusche haben für uns Bedeutung, sie müssen sie sogar haben, und wenn sie keine erkennbare Bedeutung haben, erfinden wir diese einfach, denn letztendlich bleibt uns gar nichts anderes übrig, als alles Hörbare sinnhaft in unsere Welt einzubauen.

Während also nicht alles Hörbare Musik ist, kann es durchaus seinen Weg in Musik finden. Nicht jede Klangumgebung ist also Musik, eigentlich kaum eine. Soundscapes lassen sich auch nicht zu Musik „umhören“. Wozu sollte man dies auch tun? Musik ist aber stets Teil des Soundscapes und wählt oft einen bestimmten Umgang mit ihrer hörbaren Umgebung, nämlich diese nach Möglichkeit zu übertönen, das Territorium also akustisch für sich zu besetzen. Sie greift in den Raum und somit in die Politik des Soundscapes ein. Der Lautsprecher reklamiert den Ort für sich, schreit seine Ansprüche in die Umgebung. Er kann und will keinen Widerspruch hören.
Musik kann aber auch nach Wegen suchen, bestehende Soundscapes zu erweitern und sich durch diese erweitern zu lassen. Sie kann Fenster in ihre hörbare Umgebung und in die klanglichen Realitäten anderer aufstoßen und so Möglichkeiten eröffnen, anderen zuzuhören und sich aufeinander einzulassen.

Für Personal Soundscapes durchstreifen Schülerinnen und Schüler Graz, um Klänge, vielmehr eigentlich Situationen und Orte, zu finden, deren Klingen sie mit einfachen Mittel in die Helmut-List-Halle übertragen. Aus diesen Übertragungen per Telefon und Streaming gestalten wir eine viel-kanalige, hybride Klangumgebung zwischen Musik und Ferngespräch, die – aus zahllosen Orten kommend – im Foyer der Helmut-List-Halle wieder – nunmehr aus Lautsprechern kommend – raumgreifend sehr konkrete Formen und Orte einnimmt.

Volkmar Klien
Audiodoku
Audio file
Volkmar Klien, Helena Frankl, Philipp Hafner, Lukas Holler, Adrijana Juric, Florian Knödl, Abraham Reithofer, Michaela Schanes, Gregor Schuppler - Personal Soundscapes: Let’s play Graz! © ORF musikprotokoll, 2014
Interpret/innen

Volkmar Klien & Schülerinnen und Schüler der Ortweinschule, Abteilung Kunst und Design

Helena Frankl
Philipp Hafner
Lukas Holler
Adrijana Juric
Florian Knödl
Abraham Reithofer
Michaela Schanes
Gregor Schuppler

Betreut von:
David Reischl

Kooperationen

Auftragswerk musikprotokoll In Kooperation mit steirischer herbst, Konfrontationen, Auphonic, mur.at, .siacus) & Landesschulrat für Steiermark.

Termine
Location
Helmut List Halle – Foyer
Konzert
Performance
Uraufführung