The Tree of Heaven
Für Violine, Bratsche und Violoncello

Ich mag die Zufälle, die beim Komponieren entstehen. Normalerweise in der Kluft zwischen der unorganisierten Spontaneität des Einfalls und der methodischen Strenge der Ausarbeitung. Aber auch auf verschiedensten Ebenen um das Stück herum. Bei Tree of Heaven scheint mir die Zufallsrate besonders hoch zu sein.

Der erste Zufall betrifft den Titel des Stückes, also etwas, was mir oft Sorgen bereitet. Die erste Idee zu diesem Stück kam im Jahr 2009 in einem Park in Peking. Unter einem Baum habe ich Notizen und Ideen zu einem Streichtrio gesammelt. Ich hatte damals bereits drei Versuche zu einen Streichquartett hinter mir und fand es merkwürdig, wie groß der Unterschied zwischen einem Streichquartett und einem Streichtrio für einen Komponisten sein kann: Die einzelne Violine erzeugt die subtile Grenze zwischen einer ausschließlich solistischen Besetzung im Gegensatz zu der Verdopplung, die in sich bereits den Keim eines Orchesterdenkens beinhaltet. Plötzlich dachte ich, dass das Stück über eine sich verzweigende, extrem lange Linienführung verfügen sollte, die die Individualität der drei Instrumente betont - so wie die Form eines Baums. Dieses Stück handelt zwar keineswegs von Pflanzen, seine Form folgt jedoch einem ähnlichen Weg wie das Klettern auf einen solchen großen Baum. Einen Weg von einem gemeinsamen massiven Erdanschluss über unübersichtliche Verzweigungen bis zu den allerkleinsten einsamen Ausläufern, die zwar immer noch angewachsen sind, aber bereits in einen freien Raum zeigen. Dann habe ich gegoogelt, wie der Baum, unter dem mir diese Idee gekommen war, hieß. Es war auf Mandarin ein „Chouchun“, auf Englisch „tree of heaven“. Dieser englische Namen war so ein unwahrscheinlicher Zufall, dass das Streichtrio seinen Namen eigentlich vom ersten Tag des Komponierens an hatte.

Der nächste Zufall betrifft einen speziellen Abschnitt in der zweiten Hälfte des Stückes. Er ist leicht erkennbar: Er besteht aus einem langen, sehr langsam in dreistufigen Figuren aufsteigenden Solo der Violine mit Unterstützung der weiteren Instrumente. Harmonisch ist die Stelle sehr komplex: Jede der kurzen Figuren besteht aus Stufen eines der zwölf diatonischen, rotierenden Modi. Asymmetrisch dazu aber werden Gruppen von je sieben Figuren um einen Achtelton nach oben verschoben. Das macht die Intonation für die Musiker so schwierig, dass sie bisher immer eine sichere, sehr gerade und vibratolose Spielweise gewählt haben. Dies hat die Zuhörer an ein Consort von Renaissance-Violen erinnert. So wird diese harmonisch vielleicht gewagteste Stelle von allen meinen Stücken für ein Zitat aus der alten Musik gehalten ...

Der letzte Zufall betrifft die österreichische Premiere des Stückes. Es wurde für das Trio Zebra von WDR und den Wittener Tagen für neue Musik in Auftrag gegeben und hätte bei dem 42. Jahrgang des Festivals am 25. April 2010 uraufgeführt werden sollen. Kurz davor brach aber der isländische Vulkan Eyjafjallajökull aus und der Luftverkehr brach aufgrund der Aschewolken zusammen. Es erwies sich als unmöglich, die Mitglieder des internationalen Trio Zebra zum Festival anreisen zu lassen, und das Konzert mit der Uraufführung musste ausfallen. Im Sommer dieses Jahres ergab sich die unerwartete Möglichkeit, das Stück beim ersten Jahrgang des Arcana Festivals in St. Gallen, Gesäuse am 7. August 2010 das erste Mal zu spielen.

Der endgültige Uraufführungsabend trug den Titel Wolken/Clouds und fand oben im Turm der Burg Gallenstein statt, wohin die Renaissance-Violen perfekt passen würden.

Audiodoku
Audio file
"The Tree of Heaven" / Trio Zebra © ORF musikprotokoll
Interpret/innen

Miroslav Srnka (CZ) Kompsosition

Trio Zebra (A)
Anssi Karttunen (FIN) Cello
Ernst Kovacic (A) Violine
Steven Dann (CA) Viola

Termine
Location
AK Kammersaal
Konzert
Ö1
Dieses Werk gehört zu dem Projekt:
musikprotokoll 2013 | Trio Zebra