El Silbo [el ˈsilβo] (span. „der Pfiff“) bezeichnet die Pfeifsprache der Guanchen, der Ureinwohner der Kanarischen Inseln. In einem Dokument aus dem Jahr 1413 berichten zwei französische Missionare von einem „merkwürdigen Stamm, der nur mit den Lippen spricht“. El Silbo entstand vermutlich aus der Notwendigkeit, sich über die vielen tiefen und weiten Schluchten der Vulkaninsel zu verständigen. Je nach Windrichtung kann die Reichweite der Pfiffe ohne Hilfsmittel acht bis zehn Kilometer betragen. Ausgehend von zwei Vokalen, vier Konsonanten und unterschiedlicher Tonhöhe und Lautstärke wird die gesprochene Sprache in Pfiffe übertragen. Mit der Eroberung des Archipels durch die spanische Krone wurde das Guanche durch Spanisch ersetzt.
Mit dem Vormarsch von modernen Telekommunikationstechniken und der infrastrukturellen Erschließung abgelegener Gebiete wurde der Pfeifsprache die Existenzgrundlage, die Notwendigkeit der Kommunikation über große Distanzen, entzogen. Eine Form davon hat sich bis heute auf der Insel La Gomera erhalten und gilt als das wesentliche repräsentative Element der Kultur der Insel. Aktuelle Bestrebungen, die Sprache zu erhalten, richten sich nicht zuletzt darauf, sie davor zu bewahren, banaler Bestandteil einer Folklore werden zu lassen.
1982 setzte die UNESCO El Silbo Gomero auf die Liste der zu schützenden Weltkulturgüter und ernannte sie 2009 zum immateriellen Kulturerbe. Seit 1999 ist El Silbo Gomero auch Pflichtfach in den Grundschulen auf La Gomera.
Die in den vergangenen sechs Jahrzehnten in Bewegung geratenen Bedeutungsebenen dieser Sprache bilden den Ausgangspunkt von Heimo Lattners Recherche.
Durch die Auseinandersetzung mit der Stimme als Grenzphänomen wirft er Fragen zur Identität und zur Gesellschaft auf. Die Stimme bildet ein Dazwischen. Sie bindet die Sprache an den Körper, ohne jedoch weder zu dem einen noch zu dem anderen zu gehören. Schon alleine die Frage, woher sie kommt, birgt ein Paradox in sich selbst: Wir können den Mund sehen, aus dem sie dringt, aber dennoch kommt sie aus einem unsichtbaren Inneren. Sie indiziert eine unergründliche Innerlichkeit, wir werden ihre Quelle nie zu Gesicht bekommen. Sie ist Schnittstelle, sitzt an einem eigentlich ortlosen Ort, einem Ort, zu dem uns El Silbo führt.