Angeregt wurde ich zu dieser Komposition durch eine vertiefte Beschäftigung mit der europäischen Musik des XII. – XVI. Jahrhunderts. Den Kompositionsauftrag erhielt ich vom Ernst Krenek Institut, wo ich als Composer-in-Residence Kreneks Schaffen studierte. In seinem Werk Lamentatio Jeremiae Prophetae (1941/1942) „rekonstruierte“ Krenek meisterhaft die Klangwelt der vokalen Polyphonie des XV. Jahrhunderts. Alle Verse des Textes werden von Buchstaben des hebräischen Alphabets א) – Aleph, ב – Beth, ג – Ghimel usw.) eingeleitet, die einen kurzen Abschnitt bilden und zueinander in bestimmten Zeitproportionen stehen. Die harmonischen und rhythmischen Modi der hebräischen Buchstaben der Lamentatio wurden von mir aus dem Modalsystem in ein System der spektralen, klangfarblichen und zeitlichen Modi transformiert, die mosaikhaft zu kompakten bzw. durchsichtigen Klangströmen zusammengesetzt wurden. Indem sie ineinander wachsen, zerstören sie sich entweder selber, wobei sie einen Schatten hinterlassen, oder sie wechseln plötzlich in eine neue Größenordnung des akustischen Raumes: in den Rahmen einer extremen Fokussierung und Vertiefung des Mikro-Klangs. Die unvorhersehbaren Überkreuzungen der klanglichen Ereignisse, die in diesen beiden Dimensionen ständig auftreten, verwirren einerseits die Wahrnehmung des Zuhörers und erinnern andererseits an das Prinzip des Verhältnisses zwischen talea und color der isorhythmischen Kompositionen.