Die Werkreihe der ICONOSONICS (I/II/III) arbeitet an den zu „Bildern mit fixierter Bedeutung“ gewordenen musikalischen Figuren und Gesten. Grundlage bilden dabei sowohl die aus dem Barock stammende Figurenlehre bzw. musikalische Rhetorik, als auch die akustischen Bilder der Programmmusik des 19. und 20. Jahrhunderts, und davon weitergehend die kodifizierten Bildklänge der rezenten Film- und Gebrauchsmusik. In den Stücken der Werkreihe werden an und mit diesen Figuren und Gesten Transformationsprozesse erarbeitet, die das Bildhafte und unsere Wahrnehmung derselben sowohl anregen als auch verändern.
Die kodifizierten Klangfiguren bekommen dabei ihre „rein musikalische“, also klanglichrhythmisch-harmonische etc. Qualität durch weit reichende Veränderungsprozesse zurück. Diese Veränderungen werden gestaltet durch neuartige Kontextualisierungen, die sich in immer mobiler Weise auf alle Ebenen der Erscheinung der Klangfiguren beziehen. Wesentlich ist mir, dass die Bedeutung solcher Figuren als Erinnerung bestehen bleibt, aber eben durch die Transformation ganz neu erlebbar wird. Die kodifizierte Bedeutung soll auf diese Weise ausgeschrieben und durch eine neuartige, nicht begrifflich fassbare, „musikalische“ erweitert bzw. ersetzt werden. Das gesamte Projekt versteht sich auch als eine Arbeit am Thema der musikalischen „Figur“. Musikalische Figur für mich neu zu fassen heißt, sie nicht als ein zur Verfügung stehendes Gestaltungsmittel zu verstehen, sondern sie aus ihrer historischen Prägung neu zu gestalten, den Prozess zu durchlaufen, wo „Figur“ die alte Haut abstreift und zu einer neuartigen, spezifischen Erscheinung gelangt.
Ehemals sprechende Gesten, die über ihre Kodifiziertheit und den nivellierenden Gebrauch nur noch in Gemeinplätzen reden, will ich dorthin führen, wo sie – durch die Neugestaltung – wieder etwas ganz Spezielles aussagen: die Hörenden „ansprechen“ (im wörtlichen und übertragenen Sinn) durch die spezielle Art ihres Anders-Seins, durch ihre Abweichung vom bekannten Bild, das sie ja doch noch in die Erinnerung rufen, durch ihr Besonders-Sein, durch ihre musikalisch gestaltete Erscheinungsweise. Das Iconosonic als lebendiges Hörbild bedeutet und meint dann, das Hören dieser unsere Erinnerungen und die gleichzeitige Möglichkeit zur Veränderung. Die Ermöglichung eines auf diese Weise nach mindestens zwei Seiten hin offenen Bewusstseins durch Hören ist das Ziel jeglicher Musik, denke ich.
Bildhaftes und bildgewordenes Klanggeschehen, Klangfiguren, Übertragungen von gestischem Geschehen ins Akustische, mimetische Nachahmungen im Akustischen von Ereignissen die uns widerfahren, von Gegebenheiten unseres Körpers, unserer Umwelt, Dingen, die unsere Vorstellungswelt beherrschen: die Musik und das Hören sind geprägt von diesen schon längst sedimentierten „Klangbildern“ (Klangfiguren/ICONOSONICS). Es existiert eine kulturelle Prägung, die mehr oder weniger fixierte Gestalten bereithält für Naturereignisse (Donner, Wasserfall, Regen, Blitz …), für Körperbewegungen (atmen, laufen, springen …), für psychische Regungen und deren Ausdruck (Sehnsucht, Trauer, seufzen, weinen, lachen …) und viele andere Ereignisse unserer „Welt“.
Ich gehe davon aus, dass unser Hören und auch das Erleben von Gehörtem (also die affektive, emphatische Einordnung der gehörten Informationen) direkt verbunden sind mit Erfahrungen, die sich als „Körper-Mimesen“ in uns sedimentiert haben. Tiefe Frequenzen, hohe Frequenzen, aufsteigende oder absteigende Bewegungen, rhythmische Muster: Sie alle sind im Erleben verbunden mit Erfahrungen, die unser Körper (auch unser vorgestellter Körper) mimetisch nachvollziehen kann. Wir erleben solches zuerst gekoppelt mit bestimmten vorgefertigten Qualitäten: Tief wird dunkel, hoch wird hell, aufsteigend wird z.B. „freudig“, absteigend „resignierend“ oder gar mit dem Tod verbunden, rhythmisches wird z.B. mit Tanzen gekoppelt und dann auch als eine Form davon erlebt, erlebend nachvollzogen.
Um jetzt diesen Vorprägungen in einem ersten Schritt auf die Spur zu kommen, sollen sie Zusammenhangs-bildend werden: nicht in der tradierten narrativen Form (als Programmmusik also), sondern in Kontextbildungen, die geeignet sind, diesen Figuren ihre präfixierte Bedeutung zu nehmen. Durch qualitative, rein aufs Akustische bezogene, klangliche Kontextualisierungen ebenso, wie auch durch das Strapazieren der semantischen und mimetischen Schicht kann dies erreicht werden. Die Transformation der Fixierung der „Bilder“ und des Hörens wird dann über die kompositorische Arbeit an den Kontextualisierungen anvisiert. Die De-Funktionalisierung, das Herausbrechen der präfixierten Bedeutung und Funktion aus dem Block von „Klangfigur“ und deren „nachvollziehender Einordnung“ (im perzeptiven und kognitiven Prozess der „Wahrnehmung“) ist hier Ziel. Ist dies gelungen, wird das Hören des Bekannten auf eine unbekannte Ebene verschoben: Sowohl die „Stofflichkeit“ der Klangfiguren ist eine andere als auch die nun spezifizierte Bedeutung (jetzt spreche ich vom Sinn des Klingenden), und nicht zuletzt ist der Akt des Hörens ein aktiver, neu ordnender geworden. Die Klangfigur und mein Hören dieser emanzipieren sich, sie werden zu vielschichtigen Wesen, die sowohl in der Erinnerung der alten Bedeutung als auch in den komplexen Zusammenhängen der neu erstellten Kontexte zu einer Form des Erlebens führt, die vieldimensional sein wird. Meine Erfahrung damit, dass Alles etwas bedeutet, bringt mich dazu, dass Etwas für mich nur bedeutend wird, wenn es etwas anderes bedeutet, als allgemein oder von mir bis dato angenommen und akzeptiert. Erst wenn Dinge aus der festgesetzten, starren Allgemeinheit ins Spezifische, und somit auch Bewegliche, auch Mehrdeutige (aber niemals Amorphe) transformiert werden, gewinnen sie Bedeutung für mich, sind sie geeignet, etwas „in mir, von mir“ zu bedeuten. Ich möchte beim Hören erleben, wie sich 1.) das Klang-Bild („Iconosonic“) – also unsere Vorstellung davon, die Übertragungsleistung unseres Wahrnehmungs- und Vorstellungsapparates vom Ereignis zur Klangfigur sich erstellt und 2.) klingt: die Betonung liegt also auf beidem, der semantischen und gestalthaften Prägung und der direkten akustischen Präsenz. Wenn beides in Frage steht, bin ich mit meinem Hören ebenso Teil der Frage, also auch Teil der Antwort.
FIGURE: Kontexte von „Klangfiguren, die der Natur zugeordnet sind“, „Klangfiguren die dem Körper zugeordnet sind“, solche, die „der Psyche beigeordnet werden“, „Klangbilder des Sprechens“, „Klangbilder, die uns als Gesellschafts-Wesen bedeuten sollen“: Diese fünf Kontextfelder bilden dann auch den formalen Plan der Materialanordnung für das Stück.
PICTURES OF AN EXHIBITION: Ihre Form des Bedeutens wird zum Ordnungskriterium: Es werden Klangfiguren so einander zugeordnet, dass Bedeutung durch „Ausstellen“ analysiert wird. Dazu dienen vier „starke“ Bilder der Vorordnung des Klanggeschehens als Matrix. Innerhalb dieser Martix werden die „Iconosonics“ weit reichenden – rein musikalischen – Bearbeitungen unterzogen. Die vier Ausgangsbilder synthetisiere ich aus unterschiedlichen Quellen, die mir aber wie tief sitzende Abdrücke einer kollektiven Psyche zu sein scheinen. Thematisch kreisen diese um Natur, Bedrohung, Gewalt, Macht, Opfer, gebrochenes Idyll.
BODIES: Klangfiguren des Körperlichen, der Bewegungen, der Physiognomie, wie sie in den letzten Jahrhunderten musikalisch fixierte Bestandteile der Affektsprache geworden sind, stehen in bodies/Iconosonics II zur Disposition. Klang als gespeicherte Körperinformation, Wahrnehmung und Verstehen des Wahrzunehmenden als „embodies perception“ wird aufgebrochen durch den Fokus auf die Bearbeitung der Zusammenhänge der Klangfiguren. Die Bearbeitung (neben den Strategien, die die Werkreihe durchziehen) radikalisiert sich dabei um den Aspekt des Räumlichen: Die Zeiterfahrung von maximierten Bewegungsmustern schlägt in eine Raumerfahrung um. Ohne direkt „räumlich“ zu werden, verändert der musikalisch-klangliche Raum die Klang-Körper-Figuren zu „in der Zeit stehenden“ Klangstrukturen.