Gonzales The Earth Eater
Gonzales The Earth Eater

Klänge aus dem Unbewussten. Der Titel des Werkes lässt zunächst ratlos, und auch der Hinweis, dass: Gonzales the Earth Eater aus dem Roman The Soft Machine von William S. Burroughs entlehnt ist, hilft wenig weiter. Wir haben ihn dreimal begraben, heißt es dort über Gonzales, den Erdesser, jedesmal hat er sich hinausgegessen. Wie ließe sich solche Erdesserei musikalisch ausdrücken? Die Tatsache freilich, dass sich da einer, obwohl er schon unter der Erde war, wieder ins Leben zurück befördert, ist für Jorge E. López doch bezeichnend. Es scheint, als dränge sich Ver-Drängtes wieder ins Gedächtnis. López selber spricht im Zusammenhang mit seiner Musik gern in psychologischen Kategorien: Ich beziehe mich auf Sigmund Freud und besonders auf Die Traumdeutung. Es gibt ja dort eine sehr plastische Formulierung, wie das Traum- werk vorgeht. Es heißt auf Deutsch dreimal V: Verdrängung, Verdichtung, Verschiebung. Für mich sind Verdrängung, Verdichtung, Verschiebung, respektive Aufhebung der Verdrängung die wichtigsten Prinzipien des Kunstschaffens und des Formschaffens. So López im Gespräch. Von da her ist gerade der Surrealismus eine wichtige Inspirationsquelle für diesen Komponisten.

Klanglich drückt sich darin aus, dass die Klänge immer wieder von unten, aus der Tiefe hervordringen, so als kehrten sie aus einem Unbewussten ans Tageslicht zurück. Schon in seinem ersten bedeutenden Orchesterwerk, Landscape with Martyrdom, das 1987 bei den Donaueschinger Musiktagen aufhorchen ließ, wird das deutlich: Ich habe, während ich Landscape with Martyrdom geschrieben habe, fast die ganze Zeit sehr zurückgezogen in den Bergen gelebt und versucht, Kontakt zu tieferen Bewusstseinsschichten und mythologischen Schichten des Denkens aufzunehmen und hoffentlich mit dieser Arbeit nicht etwas Neues, Modernes, sondern etwas Uraltes vermittelt, denn für mich hat das Schaffen von Kunst nicht so sehr mit der Suche nach Neuem zu tun, sondern eher mit der Suche nach dem Verdrängtem. López bevorzugt deshalb die tieferen Klangregionen. Geigen könne er nicht leiden, soll er einmal gesagt haben. So beschränkt er sich bei Gonzales the Earth Eater auf Viola und Cello bei den Streichern sowie auf Bassklarinette und Englischhorn (das tiefere Geschwister der Oboe). Im Zentrum steht aber die Wagnertuba und nicht nur mit der äußeren Instrumentenbezeichnung verweist López so auf jenen Komponisten, der so folgenreich ins mythologische Denken des 19. Jahrhunderts eingegriffen hat. Er habe zu Wagner eine gute Beziehung, besonders zum Ring, zum Tristan und zum Parsifal. Ich mag bei Wagner auch da, was Adorno auch so formuliert hat: ,Der Wille, ein Werk zustande zu bringen, ohne dass die gesellschaftlichen Vorbedingungen für das Werk schon existieren. Durch das Schaffen eines Werkes wird die Bedingung erst für seine Verbreitung zustande gebracht.

In López eigenem Werk fällt zudem eine Tendenz auf, die die Grenzen der Musik zu überscheiten. In den letzen Jahren interessieren mich immer mehr Situationen, wo die Musik zum Theater wird, nicht Musiktheater, sondern Musik, die zum Theater wird. Es interessiert mich auch außerhalb des Konzertsaales zu arbeiten; ich habe ein langes Werk geschrieben, das nur im Freien gespielt werden kann: Traumzeitraumdeutung, das schon zweimal in Südtirol und in den österreichischen Alpen aufgeführt worden ist. Es interessiert mich auch, mehr mit Bild und Ton zu arbeiten, auf eine Art und Weise, wo manchmal Bild, manchmal Ton die Oberhand hat. So ist es ihm im Fall seines Gebirgskriegsprojekt sogar gelungen, einen Orchesterauftrag in einen Film zu verwandeln. Der Film besteht aus Dokumenten aus dem Ersten Weltkrieg, aus österreichischen und italienischen Filmarchiven, aus Dokumenten des Gebirgskrieges in den Alpen. Dazu gibt es Bilder der Natur, eher abstrakt-wissenschaftlich aussehende Bilder, die er selber gedreht hat, und es gibt mittendrin eine 30 Minuten lange Spielfilmsequenz, bei der López auch Regie geführt hat.

Diese Neigung zum Gesamtkunstwerk zeigt sich bei rein musikalischen Stücken noch in den räumlichen Aufstellungen. Archaische Dimensionen werden dabei spürbar. Ich mag keine Kunstwerke, die versuchen, eine höfliche, hübsche Distanz zu bewahren. Ich denke eher im Sinne von Artaud oder im Sinne des Kinos, man soll sich wirklich mittendrin befinden, im psychologischen sowie im räumlichen Sinne. Für Gonzales the Earth Eater hat Jorge E. López eine enge Lage gewählt. Die Tuba wird von den anderen Instrumenten gleichsam eingekesselt, eine klaustrophobische Situation, die durch das Licht unterstützt wird. Die Emotionen, die er damit auslöst, sind Jorge E. López viel wichtiger als rein musikalische Gesichtspunkte. Von den technischen Neuerungen der Avantgarde hält er sich sowieso eher fern. Lieber überspringt er achtzig Jahre Musikentwicklung und kehrt zu Komponisten wie Skrjabin zurück und damit zu einer gefühlsstarken und emotionsgeladenen Musik. Ein Werk lebt, wenn es in der Seele des Empfängers gespürt wird, wenn der Sinn des Autors in der Seele des Zuhörers oder des Zuschauers widerhallt. Ich glaube, der Autor, der kein Bedürfnis hat, Archetypen oder Emotionen auszulösen, hat wirklich etwas verloren.

Thomas Meyer
Interpret/innen

Jorge E. López (C), Komposition
Klangforum Wien (A)
Rolf Gupta (N), Dirigent
Christoph Walder (I), Wagnertuba solo
Markus Deuter, Oboe, Englischhorn
Bernhard Zachhuber, Klarinetten
Dimitrios Polisoidis, Viola
Andreas Lindenbaum, Violoncello

Termine
Location
Helmut List Halle
Konzert
Dieses Werk gehört zu dem Projekt:
musikprotokoll 2009 | Klangforum Wien /2009