Breathing Music
Breathing Music

Dieses dem Chordos String Quartet zu seinem zehnten Gründungsjubiläum gewidmete Projekt möchte die Metaphorik des Atmens musikalisch ausloten. Die MusikerInnen spielen in durchscheinenden kinetischen Skulpturen – pneumatisch betriebene Plastikblasen, die allmählich in sich zusammenschrumpfen, sich wieder mit Luft füllen, erneut an Volumen verlieren und so ständig ihre Form verändern.* Dieses langsame „Einatmen“ und „Ausatmen“ folgt einem eigenen Rhythmus und beeinflusst auf diese Weise die Dynamik der (musikalischen) Gesten des Quartetts. Die atmenden Skulpturen dienen nicht nur der Visualisierung und Materialisation der pulsierenden Musik, sondern haben auch die Funktion von riesigen Dämpfern, die auf den Klang der Streichinstrumente einwirken und das Timbre verändern. Das leise Atmen der Luftskulpturen, das kontemplative Wogen von Licht und Klang und die periodischen Bewegungen der MusikerInnen laufen entweder synchron zueinander, um zu einer faszinierenden Einheit zu verschmelzen, oder sind durch ihre asynchrone Rhythmik kontrapunktisch miteinander verflochten.

Jurij Dobriakov: Wie kann man die oft „fluide“ Form Ihrer Musik deuten? Welcher Bezug lässt sich zu Ihren Empfindungen und Wahrnehmungen herstellen? Inwieweit kann man Musik mit dem Temperament, dem Charakter und der Weltanschauung ihres Autors oder ihrer Autorin gleichsetzen?
Justè Janulytè: Es steht außer Frage, dass ein künstlerisches Werk den Menschen widerspiegelt, der es geschaffen hat – es reflektiert sein Tempo, sein Temperament, seine Mentalität, seine Fähigkeit, eine bestimmte Informationsdichte zu erfassen, den Grad seiner Spiritualität, seine Einfachheit oder Kompliziertheit, seine Sensibilität, Freiheit, Willensstärke und alle seine anderen Qualitäten. Musik von einem psychologischen Standpunkt aus zu untersuchen ist ungemein interessant. Die Idee von Musik als einer Art Autotherapie und Selbsterforschung erscheint mir ebenfalls wichtig. Wenn ich an einem Stück arbeite, spüre ich immer auch die Grenzen, die ich nicht überschreiten kann, genausowenig kann ich die zuvor erwähnte (und tatsächlich auf Variation basierende) „Fluidität“ der Formen vermeiden oder mich von meiner doch etwas sonderbaren Phobie vor Pausen und Klangattacken befreien. Sicherlich kann man mit Hilfe eines rationalen Automatismus und geborgter technologischer „Rezepte“ sogar sich selbst entkommen, doch nur selten wird daraus die „eigene“ Musik, also muss man zwangsläufig wieder zurückkehren und den individuellen Denkprinzipien auf den Grund gehen, auf seine innere Stimme hören und hoffen, dass sie und nichts anderes die Authentizität und unverkennbare Einmaligkeit der Musik bestimmt. Andererseits bin ich aber weit davon entfernt zu glauben, dass diese „eigenen“ Denkprinzipien völlig originär und für niemanden sonst charakteristisch sind; sie sind höchstwahrscheinlich geformt durch die Eindrücke, die musikalische und nichtmusikalische Informationen hinterlassen haben und die – von den persönlichen Geschmacks- und Wertefiltern ausgewählt und aufbereitet – zu jener musikalischen Intuition werden, die etwas Neues und Unverwechselbares antizipiert.

Jurij Dobriakov: Die „Szenographie“ Ihrer Breathing Music ist wohl eines der besten Beispiele für die Visualisierung von Klang – der visuelle Teil ist nicht ein ergänzendes oder parallel ablaufendes narratives Element, vielmehr ist er eine weitere Dimension des Klanges. Vice versa wird der Klang gleichsam organisch aus dem geboren, was das Publikum sieht. Wie verstehen Sie die Beziehung zwischen Musik und nichtmusikalischen Elementen? Wäre es möglich, Musik zu schaffen, die durch andere Sinne als das Gehör wahrgenommen werden kann?
Justè Janulytè: Das passiert bereits. Allerdings reflektiert die visuelle Darstellung nicht notwendigerweise das akustische Ergebnis oder es fehlt ihm die Phantasie und das Künstlerische. Ich beschäftige mich derzeit intensiv mit den Möglichkeiten, den visuellen Prozess der Klangerzeugung in die rein musikalische Idee zu integrieren oder, anders gesagt, musikalische Ideen zu visualisieren. Es intensiviert das Hörerlebnis und erlaubt es dem Publikum, auch die visuelle Natur dieser Ideen zu erfassen, Musik also mit den Augen wahrzunehmen. Die „Erfindung“ der elektronischen Musik zum Beispiel – die Idee von Surround-Sound, vom Klang, der durch den Raum wandert – ist wie viele andere musikalische Phänomene rein visueller Natur. Musik kann nicht nur auditiv, sondern auch visuell wahrgenommen werden. Ich spreche natürlich nicht von den artifiziellen Imitationen elektronischer Kompositionen mittels Bildprojektionen, sondern von den organischen Verbindungen zwischen dem Klang und der Bewegung, die ihn produziert (und die zugleich sichtbar ist).

Jurij Dobriakov, Lithuanian Music Link No. 15 (Übersetzung: Friederike Kulcsar)
Interpret/innen

Justè Janulytè (LT), Komposition
Dovydas Klimavicius (LT), Luftskulptur
Chordos String Quartet (LT)

Kooperationen

Anmerkung für das Publikum: Da diese Installation mit zahlreichen Schallquellen und Klangkörpern arbeitet, ist das Publikum aufgefordert, langsam und ruhig durch den Raum zu wandern und die (visuelle und akustische) Perspektive selbst auszuwählen. Dovydas Klimavic¢ius verwendete eine derartige Luftskulptur erstmals in seinem Projekt My Dream Bubble (2005), das auf einer utopischen Phantasie des Künstlers basiert: sich in eine Skulptur zu hüllen und auf dem Wasser zu gehen.

Termine
Location
Helmut List Halle
Konzert
Performance
Österreichische Erstaufführung
Dieses Werk gehört zu dem Projekt:
musikprotokoll 2009 | Breathing Music