Les voix humaines (die menschlichen Stimmen), oder wie die Musik von (sich) selbst spricht.
Welche Musik soll man schreiben? Oder vielmehr, welche moralische Haltung soll man dem globalen System gegenüber einnehmen, das auf tückische aber wirksame Weise die Fähigkeit erworben hat, alle denkbaren Formen der Gegnerschaft zu akzeptieren, sie sodann aufzublasen und sich selbst zunutze zu machen?
Diese Frage muss freilich unbeantwortet bleiben. Keine ästhetische Form als solche kann das Politische gestalten; im besten Fall kann sie provisorische, zerbrechliche Metaphern liefern, deren Weitergabe und individuelle Interpretation Ausgangspunkte bilden für allgemeinere Überlegungen und, warum nicht, für eine Handlung.
Die Musik als besonderes Feld der Ästhetik ist also im Wesentlichen ein Auftrag, und genau dieses Thema steht im Mittelpunkt des Stücks. Ebenso wie eine menschliche Stimme von einer befreundeten Person erkannt wird, selbst wenn sie in einer fremden Sprache spricht, lässt sich eine Musik an den klanglichen Materialien und Konstruktionen erkennen, mit denen sie identifi ziert wird: die Konturen allseits bekannter Instrumente werden ja doch verwischt, wenn die (bekannte oder erstmals gehörte) Musik die Interpretation ihres eigenen Wortschatzes einfordert.
Les voix humaines für fünf Instrumente habe ich praktisch ohne Skizzen geschrieben, ohne klar defi nierten Plan. Ich wollte, dass die Musik sich selbst komponieren lassen sollte: die Identität der drei möglichen Einleitungen, die ich als erste komponiert habe, löst sich in den folgenden Momenten auf; dann habe ich, vom Üblichen abweichend, beschlossen, diese verschiedenen Anfänge über das Stück zu verteilen, etwa so, als ob die Musik eine Person wäre, die von sich selbst in der Vergangenheit, von verschiedenen Ereignissen spricht.
Die zentrale Metapher des Stückes wäre im Wesentlichen die der Stimme (und wahrscheinlich des Körpers, oder genauer gesagt, der Choreographie, nämlich bei der Gigue, die in der Mitte des Stückes steht): die Stimme als Instrument, die Stimme als Identität (und da wird sie eigentlich menschlich), und schließlich: die Stimme als Instrument der Identität. Erst in diesem Moment können sich Musikalisches und Politisches begegnen, und die Musik kann versuchen, ihrer Zeit Ausdruck zu verleihen.