Closed Enough
Closed Enough

„Situationen schaffen, die die Dinge lebendig halten“

Eigentlich ganz logisch: Früher haben Staalplaat Soundsystem Staubsauger manipuliert und in Maschinenorchestern platziert, heute manipulieren sie Häuser und nutzen ganze Gebäude als Instrumente. Aus der Helmut-List-Halle wird zur Eröffnung des steirischen herbst derart ein „Listophon“: wie beim Saxophon die Klappen, werden hier die Türen für den Klangfluss geöffnet. Susanna Niedermayr im Gespräch mit Geert-Jan Hobijn und Carsten Stabenow von Staalplaat Soundsystem über das Hörbarmachen und Komponieren von Architektur. 

Niedermayr: In eurer Arbeit geht es in vielerlei Hinsicht um Unmittelbarkeit; um die Frage, wie nahe man einem jeweiligen musikalischen Material, seiner Umgebung und damit auch dem Publikum kommen kann. 

Stabenow: Man kann die Frage aber auch anders herum stellen: Wann kommt einem etwas nahe? Uns persönlich geht es eigentlich immer so, dass wir ein Konzert nur dann wirklich spannend finden, wenn es nicht unglaublich professionell und abgeklärt ist, sondern wenn man als Konzertbesucher das Gefühl hat, man befindet sich gemeinsam mit dem Künstler auf einem Balanceakt. Auf diesem schmalen Grat, der nach rechts und links steil abfällt und wo man ständig droht runterzukippen. Wir versuchen mit unseren Performances und Klanginstallationen Situationen zu schaffen, die dieses Spannungsverhältnis permanent aufrechterhalten. In denen sich dieser Adrenalinschub, den wir im Moment der Aufführung verspüren, auf das Publikum überträgt. Die Experimentalmusik-/Klangkunstszene, in der wir tätig sind, ist eine so kleine Mikroszene, ein so kleiner Ausriss aus dem gesamten musikalischen Schaffen, dass es einfach tödlich für diese Szene ist, wenn man sich auf die Fahnen schreibt, experimentell zu sein, und dann die Dinge zunichtekonstruiert. Das passiert sehr oft. Wir versuchen stattdessen Situationen zu schaffen, die die Dinge offen und lebendig halten. 

Hobijn: Man muss immer bereit sein, alles zu riskieren. Man muss immer ein bisschen so arbeiten, als ob morgen der letzte Tag wäre, obwohl man trotzdem die Zukunft weiterhin im Auge behalten muss. 

Stabenow: Das war immer schon ein wesentliches Grundprinzip von Staalplaat. Immer wenn etwas anfing, kommerziell erfolgreich zu werden, haben wir bewusst abgebrochen und einen anderen Weg eingeschlagen. Wenn man auf die Bühne geht und schon im Vorfeld weiß, dass das Projekt hundertprozentig funktionieren wird, dann kann man es zwar noch bis zur Perfektion entwickeln und auch sicherlich richtig gut verkaufen, aber man wird keine neuen Entdeckungen mehr machen. 

Hobijn: Eine perfekte Show ist eigentlich schrecklich, weil man sich damit in eine Sackgasse manövriert. Wenn etwas wirklich schlecht ist, dann ist man wütend, und das ist super, denn damit hat man einen Riesenhaufen Ansatzpunkte, um weiterzuarbeiten. Jedes Mal, wenn ein Projekt Pop wurde, dachte ich: Das muss weg, das muss echt weg. 

Niedermayr: Ihr habt eure Projekte immer schon spezifisch für den jeweiligen Präsentationsort entwickelt. Die Beschäftigung mit dem Material und Raum, die euch umgeben, war also von Anfang an ein wichtiges Thema. Im vergangenen Jahr, mit eurer neuen Projektreihe Architone, wurde dieses Thema nun aber zentral. Wie kam es zu dieser Entwicklung? 

Stabenow: Die Initialzündung lieferte eigentlich das Projekt, das wir letztes Jahr auf Einladung des Siemens Arts

Programms Der Blick des Komponisten in der Kunsthalle Kiel realisiert haben. Nach dem konkreten Wortlaut der Einladung sollten wir auf die Ausstellung im Museum und auf die ausstellenden Künstler direkt musikalisch reagieren. Der Wunsch war, dass durch die Musik der Blick auf die Kunst neu gelenkt wird. Die Kommunikation war dann aber sehr unklar, und wir wussten bis wenige Wochen vor Ausstellungsbeginn nicht, was denn nun inhaltlich passieren wird und worauf wir reagieren sollen. Also haben wir schließlich gesagt: Gut, dann müssen wir uns eben direkt mit dem Gebäude auseinandersetzen. So entstand das erste Architone-Projekt, und seitdem hat uns die Beschäftigung mit der Architektur eigentlich nicht mehr losgelassen. 

Hobijn: Eigentlich ist Architone eine logische Weiterentwicklung unserer Maschinenorchester. Früher haben wir zum Beispiel einen Staubsauger hergenommen und geguckt, wie man durch eine kleine Veränderung den Charakter dieses Gegenstandes verändern kann, etwa indem man ihn Luft pusten statt Luft saugen lässt. Genauso fragen wir jetzt, was passiert, wenn man ein Haus oder einen Ort hernimmt und dessen Charakter ein wenig verändert. Wie auch den Staubsauger kann man das Haus oder den Ort dann plötzlich steuern und als Instrument benutzen. Eigentlich machen wir in unserer Arbeit keine großen Sprünge, sondern wir laufen Treppen. Wir machen einen Schritt nach dem anderen und dringen so immer tiefer in die Materie ein.

Niedermayr: In Kiel habt ihr vor allem mit eigens für dieses Projekt entwickelten Schwingkörpern gearbeitet. Wie haben diese konkret mit dem Raum, mit dem Museumsgebäude interagiert? 

Stabenow: Wir wollten wie immer ausschließlich mit mechanischen Klangerzeugern arbeiten, also kein PA-System verwenden. Die Schwingkörper haben wir aus den großen Holzkisten gebaut, die wir oft benutzen, um die Instrumente unseres Maschinenorchesters zu transportieren. Wir haben sie mit einfachen Schwingschleifern ausgestattet, die sich wiederum über Spannung kontrollieren ließen und die Holzkisten in bestimmte Resonanzfrequenzen, in sehr massive Bassfrequenzen gebracht haben. Die Schwingkörper haben wir schließlich im gesamten Gebäude verteilt, außer in dem Raum, in dem sich das Publikum befand. Das Publikum konnte die Klangquelle also nicht direkt sehen. Die Resonanzboxen befanden sich in den Räumen links und rechts und in den Stockwerken oberhalb und unterhalb des Publikums. So konnten wir die Töne durch die verschiedenen Ebenen des Gebäudes schicken und damit die räumliche Dimension des Gebäudes hörbar machen. Das ist nur ein ganz einfaches Prinzip, das aber sehr wirkungsvoll funktioniert hat. 

Niedermayr: Wohin wird nun in Graz der nächste Schritt führen? 

Stabenow: Bereits in Kiel haben wir Experimente gemacht, um die Gebäudestruktur selbst als Schwingkörper zu benutzen. Wir haben also Teile des Gebäudes auf ihre Schwingfähigkeit oder auf ihr Resonanzverhalten hin untersucht, um einfach noch stärker mit der Materialität des Ortes zu arbeiten. Das Projekt war eine Auseinandersetzung mit dem spezifischen Charakter des Hauses: als Museum ist dieses Haus ja als ein Ort konzipiert, der vermittelt, der Öffnung und Transparenz transportiert. Die Helmut-List-Halle ist nun das  komplette Gegenteil. Sie ist neu und eigentlich ein Raum, der gebaut wurde, um die Außenwelt auszusperren; um eine komplett isolierte, konzentrierte und hundertprozentig kontrollierbare Situation herzustellen. Die Grundidee der Helmut-List-Halle war es, einen Konzertraum zu schaffen, der quasi Studioqualität hat. 

Hobijn: Wie aber soll man Klänge durch ein Haus steuern, das komplett isoliert und schalldicht ist? Wir mussten also zurück zum grundlegenden Prinzip, nämlich zu der Frage, wie man ein Haus als Instrument benutzen kann. 

Niedermayr: Für die Idee, die daraufhin entstanden ist, habt ihr auch einmal den schönen Namen „Listophon“ benutzt … 

Hobijn: Ja, weil man sich die Helmut-List-Halle auch wie ein Saxophon vorstellen kann. Es ist ein langes Gebäude mit einer Reihe von riesigen Türen an beiden Seiten, die wir nun wie die Klappen eines Instrumentes steuern werden. Wenn sich die Türen öffnen, dann fl ießt der Klang, dringt von außen in das Gebäude ein. Wobei wir sehr massive Klangquellen benutzen werden, zum Beispiel einen Hubschrauber, ein Rennauto oder auch ein Boom Car, damit man das Volumen und die Kraft dieser Klangströme richtiggehend spürt. Die Herausforderung ist dann aber, die Architektur nicht nur hörbar zu machen, sondern die Architektur auch zu komponieren. 

Niedermayr: Eine ziemlich große Herausforderung … 

Hobijn: Ja, das ist eigentlich ein Monsterauftrag, den wir uns da selber geben. Auch weil bestimmte Elemente sich sehr schwer testen lassen, und wir nicht wissen, wie der Raum mit Publikum klingt. Aber ein Hubschrauber hat eine ganz andere Klangfarbe als etwa eine Sirene, und so kann man im Vorfeld einen dramaturgischen Bogen bauen. 

Stabenow: Ein Dilemma der Experimentalmusik-/Klangkunstszene ist ja auch, dass es wunderbare Instrumentenbauer gibt, die das von ihnen entwickelte Instrument aber nicht spielen können. Weshalb viele wunderbare Erfindungen verkümmern. Ab einem gewissen Punkt muss man sein Instrument weitergeben können an jemanden, der es vielleicht besser spielen kann. Uns macht es sehr viel Spaß zu sehen, wie andere mit unseren Instrumenten umgehen. Deshalb sind wir auch sehr froh über die Möglichkeit, nach unserem ersten Closed Enough-Konzert in der Helmut-List-Halle im Rahmen eines gemeinsamen Produktionswochenendes auch FM , Owl Project und Goodiepal/Gæoudjiparl an unser Instrument ranzulassen. Außerdem haben wir uns für die Eröffnungsperformance des steirischen herbst, quasi als Random Filter, Mark Bain und bmb.con eingeladen. Beide arbeiten sehr stark performativ bzw. situationsbezogen und spontan und werden unseren „Gesamtklang“ entsprechend erweitern. 

Niedermayr: Wird auch das Publikum durch Interaktion direkt am Kompositionsprozess beteiligt sein? 

Hobijn: Nicht direkt während des Konzertes. Aber es wird eine achtkanalige Architektur-Jukebox geben, über die das Publikum im Anschluss an das Konzert die Fenster der Helmut-List-Halle spielen können wird, um selber ein Gefühl dafür zu bekommen, wie man Teile eines Gebäudes als Klangkörper nutzen kann. 

Niedermayr: Ein zentrales Anliegen eurer Projekt-Reihe Architone ist es, die Aufmerksamkeit auf die von Architekten und Stadtplanern oftmals stiefmütterlich behandelte Beziehung von Raum und Klang zu lenken. Geht man die Treppe eine Stufe zurück, um in dem vorab von Geert-Jan gezeichneten Bild zu bleiben, zoomt man also wieder ein Stück weit aus der Tiefe der Materie heraus, so stellt sich dieses Anliegen plötzlich als Teilaspekt eines noch viel größeren Anliegens dar, nämlich des Versuchs, Augen und Ohren des Publikums für die Kraft des Unmittelbaren zu öffnen. Und für die Poesie des Alltages. 

Hobijn: Wenn es eine größere Message hinter Staalplaat Soundsystem gibt, dann ist es wohl die Aufforderung, genauer hinzugucken und die Welt vielleicht auch einmal anders zu sehen. Wir sind sehr auf die Funktionen fixiert, die den Dingen zugeschrieben werden. Wenn man aber genauer hinguckt, das jeweilige Ding als Ding an sich begreift, kommt man drauf, dass man es auch auf ganz andere Art und Weise nützen könnte, als dies gemeinhin üblich ist. Kinder können das, die nehmen eine Steckdose und sagen: Das ist ein Raumschiff. Und wenn man dann genauer hinguckt, denkt man sich: Stimmt, sieht eigentlich aus wie ein Raumschiff.

Nachdruck aus: „herbst. Theorie zur Praxis“ (2007)

Interpret/innen

Staalplaat Soundsystem
Geert-Jan Hobijn, Carsten Stabenow, Carlo Crovato Konzept: Realisation
Hardware- und Softwareentwicklung: Olaf Matthes, Jens Alexander Ewald
Gäste: Mark Bain bmb.con, Justin Bennett, Roelf Toxopeus
Boomcar Fahrer: Roland Gschaider, Martin Putschögl, Martin Peßl

Termine
Location
Helmut List Halle
Konzert
Uraufführung
Dieses Werk gehört zu dem Projekt: