In Michael Jarrells Violinkonzert ...prisme/incidences... ist die Konstellation zwischen Solist und Gruppe bereits in der Orthographie des Titels angedeutet: An einem einzelnen Prisma spalten sich Zwischenfälle ab (wobei „incidence" ebenso Zwischenfälle wie auch Einfallswinkel und Auftreff-Punkte bedeuten kann); die Linien einer Solo-Violine werden vom Orchester aufgebrochen. Die zarte, flageolet-durchsetzte Geigenstimme, die das Stück fast unbegleitet initiiert, regt das Orchester zunehmend zu Klang-Reflektionen an, die sich immer stärker verlängern, verzerren und verselbständigen.
Die Auslassungspunkte vor und nach dem Titel ...prisme/incidences... verweisen auf das Ausschnitthafte im räumlichen und zeitlichen Sinn. Jedes Element in Jarrells Musik steht im Zusammenhang mit dem Davor und dem Danach: „Die Tonhöhen, die Rhythmen, die Farben sind kein großes Problem mehr, aber die psychologische Zeit: Wie funktioniert etwas im momentanen Erlebnis?Wie die Dinge ineinander gehen, das ist das Schwierigste."
Bei ...prisme/incidences... hatte Michael Jarrell das Bedürfnis, ein flüssiges Stück zu schreiben, das einem klaren formalen Bogen organisch folgt und das energetisch Abrupte, das etwa in den Kompositionen der 1980er und frühen 1990er Jahre wesentliches Stilmittel war, fast gänzlich vermeidet. Obwohl das Stück unterschiedliche Farbigkeiten passiert, sollte sich jeder Verlauf wie selbstverständlich aus dem Vorhergehenden entwickeln: „Nichts ist fertig, alles geht prozesshaft immer weiter."