musikprotokoll Slice 2001
musikprotokoll 2001

Betrachten wir es einmal von dieser Seite: Das von sehr irdischen und realen Konzertbesuchern, Kunstliebhabern und anderen urbanen Nachtschwärmern frequentierte Festival musikprotokoll im steirischen herbst als Signal an die Außerirdischen; Allen City und a sophisticated soiree. Sie hätten die Aufgabe gehabt, alles über die Menschenwesen herauszufinden, heisst es über die aliens in der von James Tenney beim musikprotokoll 1997 erzählten Geschichte, und sie hätten bei ihrer Rückkehr auch alles erklären können, mit einer Ausnahme: From time to time they get together and let the air vibrate. Das Rätsel um die Menschen und die von Schallwellen zum Vibrieren gebrachte Luft ist, - und genau daran sind die außerirdischen Kundschafter gescheitert - eben kein phänomenologisch zu erklärendes, sondern ein soziales Phänomen. Musik erfüllt Funktionen, Musikwahrnehmung ist an Spielregeln geknüpft.

The social dimension of soundwaves heißt es im Untertitel dieses musikprotokolls und das Programm fokussiert zwei polar entgegensetzte Haltungen: Komplexe, konzertante Hörmusik aus und in einer circa 200 Jahre langen Tradition, in der die hingebungsvolle Religiosität der Zeit davor ersetzt ist durch aufgeklärt kritische Haltung zum Widerständigen und/oder Erhabenen. Ensemble recherche, Arditti String Quartet, Klangforum Wien und RSO-Wien mit Dennis Russell Davies heißen die Klangkörper in der Reihenfolge ihres Auftretens, unter den Komponisten sind Karassikov, Billone, Spahlinger, J. Ullmann, Furrer, W. Zimmermann, K. Lang, Haas, Murail, Pauset, Hanner, Sänchez-Chiong, Jarrell, Staud. Das Integrale des Autors ist intakt, das Soziale des Zuhörens besteht aus einer gemeinschaftlichen Annäherung an Sublimiertes, Sublimes, Subtiles.

Aus einer diametral entgegensetzen Haltung heraus operiert a sophisticated soiree. Das über Klebeelektroden, Datensender und Software-Applikationen zu einer großen interagierenden Maschine verschaltete Kollektiv aus Barbesuchern, Musikern und Projektbetreibern kreiiert die Musik als Kollektiv, "living room - the social dimension of soundwaves" ist hier auf einen ultimativen sozialen Punkt gebracht, es gibt tatsächich keine Musik mehr ohne soziales Agieren, bzw. die Musik ist verwandelt in eine Art nach Außen gestülpten Gradmesser - hörbar und sichtbar - der sozialen Interaktion. Auch die Besucher der im Dom im Berg sich materialisierenden, unter anderem von sphinxhaften Avataren bewohnten Alien City interagieren als eher Stadt- denn Konzertbesucher in sozialen Dimensionen von Klang- und Lichtwellen. Installationen in Hotelzimmern, subsonische Experimente, berührungslos gesteuerte Musik und mediale mit physikalischen Räumen konfrontierende Radiokunst von respektive Collins, Sistermanns, Peters, Laton/Pomassl, Schimana, LaBelle erforschen eine Vielzahl weiterer living rooms.

Unter dem Aspekt der social dimension of soundwaves stehen die festivalbesuchenden Spielteilnehmer, Konzertbesucher und Kunstliebhaber mehr im Zentrum denn je und genau das ist die message an die aliens: we get together and let the air vibrate, weil gerade aufgeklärt kritische Hör-Haltung das Soziale auf seine Weise ebenso braucht, wie jene situations- und ortsbezogenen (Kunst-)raumprojekte, in denen erst der Besucher die Vervollständigung wenn nicht überhaupt die Entstehung der rätselhaft verführerischen Luftvibrationen bewirkt.