Vermutungen über ein dunkles Haus
Vermutungen über ein dunkles Haus - hommage à franz kafka für drei Orchester, zwei davon auf einem vorher zu produzierenden Tonband

Zwei Jahre lang arbeitete Roman Haubenstock-Ramati an der Kafka-Oper „Amerika", die zumindest auf dem musiktheatralischen Sektor sein Haupt­werk darstellt. Nach der Uraufführung 1966 in Berlin nahezu in Vergessenheit geraten, wurde die Wiederinszenierung des Werkes in Graz 1992 zu einer der großen Freuden in den letzten Lebens­jahren des Komponisten.

Noch vor Vollendung der Oper fasste Haubenstock-Ramati drei geschlossene Instrumentalsätze aus den bereits ferti­gen Teilen der Partitur unter dem Titel "Vermutungen über ein dunkles Haus" zusammen. Innerhalb der Oper haben diese drei Sätze ihre genau bestimmte dramaturgische Funktion. Es ist hier nicht der Ort, detailliert auf diese Funk­tionen einzugehen, die man ganz allge­mein mit Begriffen wie Interpunktion, Formgliederung, Kommentar charakteri­sieren könnte: der Hinweis muss genü­gen, dass Ort und Aufgabe dieser Stücke dem Komponisten eine von szenischer Aktion relativ unabhängige Haltung, wenn auch nicht vollkommene, so doch weitgehende musikalische Autonomie abverlangen, und darum sollten die „Vermutungen" nach dem Willen des Komponisten unabhängig von der Oper als selbständige Komposition für den Konzertsaal bestehen bleiben.

In allen drei Sätzen geht es Haubenstock-Ramati um die mehrdimensionale Entwicklung musikalischer Grundgestal­ten. Die Mehrdimensionalität entsteht in den Sätzen I und III aus der Konzeption dreier unterschiedlich im Raum postier­ter Orchester. Diese Anordnung lässt nicht nur drei verschiedene Aspekte desselben musikalischen Materials gleichzeitig erscheinen, sie beeinflusst auch die Wechselwirkung zwischen Musik und Publikum: Der Hörer steht der Musik nicht gegenüber, er befindet sich innerhalb des musikalischen Geschehens. 1958 und 1959 wurden in Donaueschingen mit den "Gruppen für drei Orchester" von Karlheinz Stock­hausen, mit "Poésie pour pouvoir" von Pierre Boulez, mit „Rimes pour dif­férentes sources sonores" von Henri Pousseur und "Allelujah II" von Luciano Berio ähnliche Bestrebungen realisiert. Allerdings wird man bei den "Vermutungen" nur ein Orchester erblicken. Aus praktischen Gründen hat Hauben­stock-Ramati vorgesehen, dass die Par­tien zweier Orchester vorher auf Band aufgenommen und im Konzertsaal über Lautsprecher - ohne elektroakustische Klangmanipulation - abgespielt werden, indessen der dritte Orchesterpart real erklingt.

Was die ausdrucksmäßige Haltung anbelangt, so bewegt sich der erste Satz - ein reines Streicherstück - in hintergründiger Geheimnishaftigkeit, der dritte dagegen - Besetzung: Streicher, Blechbläser und Schlagzeug - beruht auf einem von starken Spannungen durchzogenen, schmerzlichen und dra­matischen Gestus. Die seit Hauben­stock-Ramatis „Mobile for Shakespeare" (1960) allmählich immer subtiler ent­wickelten Gestaltungsprinzipien  der "dynamisch-geschlossenen Form" beherrschen alle drei Sätze. Die Verschränkung von Variation und Wieder­holung, aus der diese Formkonzeption erwächst, wird besonders sinnfällig am zweiten Satz. Er ist  im wahrsten  Sinne „montiert":  26 Partikel,  von Bläsern auf Tonband gespielt, werden nach einem aufgezeichneten Plan miteinander verknüpft und in variabler Dichte überein­andergeschichtet. Wiederum fallen alle Klangverfremdungen fort, doch wird das radiophonische Mittel der Montage genutzt. Aus dem Wechsel der Kombi­nationen ergeben sich sowohl Variation wie Wiederholung und Mehrdimensionalität, der genau fixierte Plan lässt for­male Geschlossenheit entstehen.

"Für K" lautet der Titel des zweiten Satzes. Diese lapidare Formulierung könnte der ganzen Komposition als Überschrift dienen, denn sie ist nach des Komponisten Worten eine Huldigung an Kafka, eine Hommage, in dem sich all das verdichtet hat, was Persön­lichkeit und Werk Kafkas in Hauben­stock-Ramati an schöpferischen Impul­sen auslösten, nicht nur in der Nach­schilderung bestimmter Situationen, sondern vor allem an rein musikalischen Ideen.

Josef Häusler
Interpret/innen

RSO Wien
Dirigent: Arturo Tamayo
Ton­band-Realisierung: Anton Reininger, Hans Moralt

Termine
Location
Grazer Congress – Stefaniensaal
Konzert