Quatuor III
Quatuor III für Streichquartett (1992)

War Dusapin in seinem ersten Streichquartett der Versuch, eine „unausgewogene Form" zu entwerfen, nach eigenem Bekenntnis nicht gelungen, so ging er im viersätzigen dritten Quartett bewusst das Risiko einer „Unausgewo­genheit durch zuviel Symmetrie" ein. Der Umgang mit dem Medium ist hier ungleich „klassischer" als in den älte­ren Quartetten oder auch in anderen, früher entstandenen Werken für Streicher wie dem Trio ,,Musique fugitive". Glissandi und Mikrotöne werden nur sparsam und meist isoliert verwendet - ausgenommen ein durchdringendes, um einen Viertelton erhöhtes Cis am Ende des ersten Satzes und durchgehend im zweiten Satz. Und dass alle vier Instru­mente gleichzeitig agieren, ist eher die Regel als die Ausnahme.

„Hier geht es", so kommentiert der Komponist, „um das Denken. Nämlich: Was denken wir, wenn wir ein Stück Musik verfolgen, auf welche Gedanken bringt uns die Musik? Wie werden Ideen (Gedanken) von einem konzeptionellen Abschnitt zum nächsten entfaltet? Welche Form nimmt unser - freies und einzigartiges - Denken im Übergang von einer Form zur andern an?"

Dusapin selbst bezeichnet den ersten Satz als das „theoretische Herz" des Quartetts. Gemeint ist damit nicht zuletzt, dass hier das harmonische Grundgerüst des ganzen Werkes (mit Tritoni und kleinen Sekunden als domi­nierenden Intervallen) exponiert wird. Zwar ist das Grundtempo eher ruhig­ gemächlich, doch spielen die Instru­mente bald Figurationen von wirbelwindartiger Geschwindigkeit, und erst allmählich setzt sich ein maßvoller Duktus in akkordischen Sequenzen durch.

Der zweite, der Wirkung nach langsame Satz kreist anfangs um ein beredtes, lebhaft bewegtes Bratschensolo - eine Art imaginärer (osteuropäischer?) Volks­musik, in tiefer Lage „gedrosselt". Nach kurzer Pause setzt das Solo wieder ein, nun begleitet von einem langsamen, weit ausschwingenden „Cantus firmus", der sich von der zweiten Violine bis in die übrigen Instrumente ausbreitet. Von da an gewinnt die Musik immer  mehr an Schwung und Dynamik und mündet schließlich in die verkürzte Exposition dessen, was man ein Scherzo nennen könnte (einschließlich einer klassischen „Reprise").

Der dritte ist ein langsamer Satz von anderer Art: Seine zögernd repetierten Noten  suggerieren  (um Lutoslawskis Satzbezeichnungen seiner „zweiten Sin­fonie" zu zitieren) einen „Hesitant"-Teil, der ständig die Erwartung eines nach­ folgenden „Direct"-Teils schürt. In gewisser Weise wird diese Erwartung auch wirklich erfüllt durch den Einsatz eines vierten Satzes, dessen Beginn deutlich auf den Anfang des Quartetts zurückverweist. Doch statt das Werk nach herkömmlicher Art in quasi zyklischer Manier abzurunden, liefert dieser Schlusssatz ein höchst eigenwilliges Anti-Finale. Er versucht", so formuliert es der Komponist, sich dem Kopfsatz anzugleichen, bricht jedoch aus in rhythmische Spiralen, die allesamt derselben Obsession des Abweichens vom rechten Pfade erliegen." Was das abrupte, jede Schlusswirkung verweigernde Ende betrifft, so führt der Kornponist ein Zitat von Flaubert an: La bêtise consiste à vouloir conclure" (Die Dummheit besteht darin, schließen zu wollen).

Ein weiteres Zitat , das Dusapin in umfassenderem Sinn gleichsam als Schlüssel zu seinem jüngsten Quartett verstanden wissen will, stammt  aus L'Épui" von Gilles Deleuze und bezieht sich dort auf Samuel Becketts (merkwürdig an Kagel erinnerndes) Musiktheaterstück „Quad" von 1984:  „Wiewohl es vollkommen determiniert ist und dergleichen Dimensionen aufweist, hat es keine anderen Determina­tionen als seine formalen Eigentümlich­keiten, äquidistante Scheitelpunkte und Zentrum, keine anderen Inhalte oder Inhaber als die vier gleichen Personen, die es ständig durchlaufen. Es ist irgendein geschlossener, global definierter Raum."

Richard Toop 1993, Übersetzung aus dem Englischen: Monika Lichtenfeld
Interpret/innen

Arditti Quartet
Violine: lrvine Arditti
Violine: Graeme Jennings
Viola: Garth Knox
Violoncello: Rohan de Saram

Termine
Location
Grazer Congress – Stefaniensaal
Konzert
Österreichische Erstaufführung
Biografien