Air
Air Musik für großes Orchester und Schlagzeug-Solo (1968/69-1994)

Ebenso wie im 1966 bis 1968 entstandenen Notturno galt es auch hier, dem Anachronismus eines „Konzerts" für Solo und Orchester neue Funktionen abzugewinnen; Funktionen, welche sich über das Klangliche hinaus - oder gar am Klanglichen vorbei - auf die Realistik der instrumentalen Aktionen beziehen. Erfahrungsgemäß ermöglicht - und unter gewissen Bedingungen veranlasst - jeder Klang anhand seiner besonderen Eigenschaften beim Hörer ganz prosaische Rückschlüsse auf die konkrete Situation und den mechanischen Prozess, der ihn hervorgebracht hat. Ein hoher Horn-Ton beispielsweise mag im tonalen Zusammenhang als konsonanter oder dissonanter Beitrag, in einem außertonalen Bereich möglicher­ weise als „emanzipierte Klangfarbe" erfahren werden; eine weitere, im alltäglichen Leben selbstverständliche Möglichkeit aber wäre die, ihn zur Kenntnis zu nehmen und sich bewusst zu machen als direktes Resultat einer charakteristischen physischen Anstrengung unter bestimmten Bedingungen. Diesen prosaischen Aspekt des Gehörten nicht zu verdecken oder zu verwischen, seine im Hinblick auf irgendwelche ästhetischen Utopien übliche Verdrängung aus dem Kommunikationsprozess möglichst zu verhindern, bildete einen die Kompositionstechnik bestimmenden Impuls bei der Arbeit an diesem Stück.

Instrumentale Verfremdung, beliebter Stein des Anstoßes beim Publikum und auch bei manchen Spielern; der erstickte Schlag, die gepresste Saite, der tonlose Luftstoß: Sie bedeuten in solchem Zusammenhang nicht surrealistischen Gag oder aggressive Provokation, sondern logische Integration des gesamten verfügbaren Klang- und Geräuschrepertoires übers bislang Salonfähige hinaus, und sie dienen einem Schönheitsbegriff, der das Tabu der Gewohnheit durchbricht und sich orientiert an der Reinheit und strukturellen Klarheit der klingenden Situation als energetisch bestimmtem Feld.

Das Solo-Schlagzeug als sinnfälligstes - auch augenfälligstes - Medium solcher Klangrealistik, der es darum geht, gerade die äußere mechanische Kausalität, die einem Klang zugrunde liegt, in die Erfahrung und Reflexion einzubeziehen, spielt in dieser Musik nicht einfach die Haupt-, sondern vielmehr die Schlüsselrolle.

Helmut Lachenmann
Interpret/innen

RSO Wien
Dirigent: Friedrich Goldmann
Schlagzeug: Michael W. Ranta

Termine
Location
Grazer Congress – Stefaniensaal
Konzert