Ata, 1987 im gemeinschaftlichen Auftrag des Südwestfunks und der Gulbenkian-Stiftung Lissabon geschrieben, am 3. Mai dieses Jahres durch das Sinfonieorchester des Südwestfunks unter Michael Gielen beim Gulbenkian-Festival in Lissabon uraufgeführt, ist für ein großes Orchester von 89 Spielern bestimmt und schöpft aus den reichen Quellen der vorangegangenen Kompositionen Keqrops (1986) und Horos (1987).
Die Auskünfte über Ata, die Xenakis selbst mir gab, waren dort am aufschlussreichsten, wo es um die Bedeutung des Titels ging: ,,Ata ist die dorische Schreibweise von Ate, der griechischen Göttin des Unheils und des Verderbens. Ata bedeutet somit auch Verblendung, Wahn, eine Art Ver-Rückung der Sinne, die von den Göttern über Menschen verhängt wird, welche, von sich selbst betört, Irrtümern über ihre Macht und Größe erliegen. Wir alle begehen unsere Torheiten in der Liebe, im Verhalten, beim Schreiben. Das Stück handelt von der Gefahr, wieder zur Besinnung zu kommen." Ata ist ein Widerstreit, der sich innerhalb ein und derselben Psyche vollzieht; die Eröffnungssequenz des Werkes charakterisiert unmittelbar die ins Spiel tretenden Kräfte, Taktiken und den Kampfplatz. Als erstes deuten Gruppen von Kleinterz-Clustern in den Streichern, deren jeder eine wellenförmige Linie spielt, eine Harmonik an, welche den Anhauch eines antiken Tetrachords besitzt. Diese Cluster nehmen schrittweise an Dichte zu und komprimieren sich zu einem ausgehaltenen Triller in hoher Lage.
Sodann treten zum harmonischen Hintergrund dieses Streicher Trillers die chromatisch geführten Holzbläser hinzu, in regelmäßig pulsierender Metrik, wie um die Atmosphäre wieder zu reinigen. An dritter Stelle erscheint ein Muster von Holzbläserakkorden in langsamem Tempo, kontrapunktiert durch Vierer- und Fünfergruppen dichter tetrachordischer Blechbläserakkorde. Diese nehmen graduell an Häufigkeit und Tonzahl zu und provozieren - zunächst in den Holzbläsern, dann in den Streichern - ähnlich klingende Antworten, welche rasch in ein synchron geführtes Tutti münden. Als zeitliche Antriebskräfte von Ata wirken zwei Pulse. Der eine ist ein langsames, majestätisches, vom ganzen Orchester synchron gespieltes Metrum, das an ein antikes Gedicht gemahnt; der andere gliedert sich in diesen grundlegenden Herzschlag riffelnd ein; er manifestiert sich in rhythmischen Unterteilungen, die sich in den Bläsergruppen, den Streichern und dem Schlagzeug entfalten. Diese Elemente, sukzessive erweitert oder reduziert, schaffen einen Prozess allmählicher Verdichtung der physischen Stoßkraft, der Hand in Hand geht mit einem Abbau der harmonischen Mannigfaltigkeit. Am Ende steht ein Zustand von Entschlossenheit in clusternaher Harmonik.