... nach einer gelassenen Kontextualität, die ...
Zum Orchester 33 1/3
Sowohl das kulturpessimistische Geraune, dass heutzutage nichts „Neues" mehr möglich sei, als auch die daraus resultierende Banalität des postmodernen „Anything goes" basieren auf einer Vorstellung von musikalischer Entwicklung, die mehr mit dem klassischen Sozialdarwinismus gemein hat, als uns lieb sein sollte: Ersteres setzt seine vage Hoffnung in einen linearen Fortschritt (samt „natürlicher Auslese"), zweitere möchte die „Artenvielfalt" wenigstens so lange aufrecht erhalten wissen, bis endlich ein neues „Sieger-Gen" sich durchgesetzt hat.
Beide Positionen ignorieren den Rhizom-Charakter von Musik: dass nämlich „Fortschritt" sich durchaus auch in manieristischen Verästelungen, stilistischen Differenzen zu einem „Original" und nicht zuletzt in personeller Interaktion manifestieren kann. Wäre dem nicht so, dann stünden wir heute tatsächlich am Grab der „freien Improvisation" bzw. des Free Jazz (tun wir aber nicht!) - und es gäbe kein Orchester mit dem wunderbar referentiellen Namen „ 33 1/3", das sowohl die Kulturpessimisten als auch die „Anything goes"-Fraktion Lügen straft.
Allein die Tatsache seiner Existenz aber grenzt auch an ein Wunder. Man muss schon von wallenden Visionen getrieben werden, um in diesen so digitalen wie monströs „kommerziellen" Zeiten eine analoge und oben drein noch ,,unkommerzielle" Big Band gründen zu wollen. Wer da keinen potenten Mäzen im Rücken hat, der braucht auf alle Fälle mindestens ein Dutzend besessener Freunde zur Seite.
Christof Kurzmann und Christian Fennesz - gleichsam das „Direktorium" des Orchesters - fanden solche Freunde in den verschiedensten musikalischen Genres und Subgenres, was die Einzigartigkeit dieses „Klangkörpers" noch zusätzlich unterstreicht. Denn „33 1/3'' ist eben kein homogenes Orchester im klassischen Sinn, sondern ein heterogener Haufen, dessen Einzelteilchen ihre jeweilige musikalische Sozialisation ins „Spiel" bringen. Zwangsläufig entstehen dann (gruppen-)dynamische Prozesse, die einem „einheitlichen" Ensemble fremd bleiben. Denn es macht natürlich einen gewaltigen Unterschied, ob z.B. ein Kontrabassist mit Schlager- und Hardcore-Erfahrung auf einen Sampling-Spezialisten mit Ambient- und Noise-Vorlieben trifft und beide mit einen Drum&Bass-Schlagwerker „können müssen" oder ob sich der Abgänger-Jahrgang eines Jazzkonservatoriums zum gemeinsamen Musizieren einfindet.
Wenn so im „Orchester 33 1/3'' die diversen Stile zeitgenössischer Subkulturen aufeinanderstoßen, dann klingt das seltsamerweise nie nach „Fusion" oder gar „Crossover", immer aber nach einer gelassenen Kontextualität, die den vielgeschmähten Eklektizismus plötzlich als sympathische Form legitimer Einzelinteressen dastehen lässt. Das sowas nicht nur konzeptionell, sondern auch im Hörerinnen-Kopf funktioniert, grenzt auch schon ans wunderliche.
„33 1/3" - das ist die Drehgeschwindigkeit der alten Vinylschallplatte. Kurzmann gilt sie als Code für die „große Zeit des Jazz": für die 6oer eines Charles Mingus, Miles Davis oder John Coltrane, für eine Epoche, in der nicht nur der „orchestrale Jazz" noch innovative Konzepte verfolgen konnte. Insofern könnte die Namens Hommage nostalgische Assoziationen hervorrufen, aber man liegt wohl richtiger, wenn man „33 1/3'' auch als renitentes Kürzel liest: als symbolische Anknüpfung an eben diese Zeit brachialer Erneuerung. Die Mittel mögen sich seit damals zwar grundlegend geändert haben, der Impuls aber, der dieses Orchester in bislang ungehörte Regionen der Vermischung von Elektronik und Big Band-Sound treibt, der ist derselbe. Der große Sun Ra irgend wo da draußen sei mein Zeuge.
Aber ist das noch Jazz? Keine Ahnung. Wenn ja, dann braucht dieser Jazz eure Ärsche zum Tanzen.