
Donnerstag, 01. September 2011 | 23:03Uhr | Radio Österreich 1
Es ist ein geheimnisvoll und dunkel wirkender Ort, der einen unmittelbar in seinen Bann zieht, den Sohrab in seinem Debütalbum "A Hidden Place" aufspannt, das vergangenes Jahr bei Touch erschienen ist und von der Jury des diesjährigen Prix Ars Electronica mit einer Anerkennung bedacht wurde. Derzeit hofft der Iraner in Berlin auf politisches Asyl.
Touch-Solidaritätsaktion
Sohrabs erster Asylantrag wurde abgelehnt. Einmal darf der junge Musiker sein Anliegen nun noch vorbringen, falls er die dafür nötigen Kosten aufbringen kann. Das ist für einen Asylwerber natürlich alles andere als einfach. Mike Harding, Touch-Labelchef, hat daher auch spontan eine Solidaritätsaktion gestartet. Zahlreiche namhafte Musikerinnen und Musiker, darunter etwa auch JG Thirlwell, Jóhann Jóhannsson, Leif Elggren, Jana Winderen und Philip Jeck, sind bislang seinem Aufruf gefolgt, die Musik von Sohrab zu remixen. Zwei Remix-Alben gibt es bereits auf der Touch-Homepage zum digitalen Download. Sie tragen den schönen Titel "You are not alone". Sämtliche Einnahmen fließen in einen für Sohrab angelegten Verteidigungsfond.
Großer Wunschtraum
"Ich sehe viele Künstlerinnen und Künstler, die nach Berlin kommen, weil sie diese Stadt für einen fruchtbaren Boden halten; weil es hier viele Möglichkeiten gibt, kreativ zu arbeiten", schildert Sohrab. "Ich aber bin gekommen, um in Freiheit leben zu können. Und in einem nächsten Schritt würde ich dann gerne hier in Freiheit Musik machen können. Das ist mein großer Wunschtraum."
Zwiespältige Situation
Die Situation, in der sich Sohrab befindet, ist zwiespältig. Ein Teil von ihm, erzählt er, wäre gerne im Iran, allerdings in einem Iran, der sich verändert und nicht in einem Iran, in dem man nicht einmal man selbst sein könne. Auf der anderen Seite sei er aber auch in Berlin nicht wirklich frei. "Mike wollte vergangenes Jahr eine Tour durch einige Städte für mich organisieren, aber als Asylwerber darf ich Deutschland nicht verlassen; darf ich nicht einmal Berlin verlassen - ohne Erlaubnis", so Sohrab.
Vom Punk-Rock zur Elektronik
Sohrab wurde 1984 geboren. Als Jugendlicher, erzählt er, hätte er eine Zeit lang gemeinsam mit seinem älteren Bruder und Freunden eine Punk-Band gehabt. Nachdem gleich das erste Konzert von der Polizei aufgelöst worden war, sei mit dem Musik-Machen aber schnell wieder Schluss gewesen. Einige Jahre später entdeckte Sohrab dann im Internet elektronische Musik. "Diese Musik hat mich fasziniert. Es hat mich fasziniert, dass diese Musik nicht mit Instrumenten, sondern mit Maschinen gemacht wurde. Und sie hat mich gefühlsmäßig direkt angesprochen.
Völlig alleine
Nein, es hätte im Iran niemanden gegeben, mit dem er sein Interesse an elektronischer Musik hätte teilen können. Sohrab musste sich alles selber aneignen. "Ich hatte ja von nichts eine Ahnung", erinnert sich der Musiker zurück. "Ich wusste nicht einmal, was ein Synthesizer ist! Also habe ich mir zuerst einmal die entsprechende Software besorgt. Daraufhin habe ich drei, vier Jahre einfach nur gelernt und gelernt. Ich habe mich über jeden Schritt, den ich nach vorne gemacht habe, gefreut. Mit jedem Schritt konnte ich mich ein bisschen besser ausdrücken."
Beginn einer Freundschaft
Das Label Touch kennengelernt hat Sohrab dann 2008 in Neuseeland, bei einem Konzert des Touch-Label-Artists Rosy Parlane. Nach Neuseeland verschlagen hätte es ihn auf der Flucht vor seinen Wurzeln, vor seiner Nationalität, erzählt der Musiker. Dort hätte er zuerst studiert und dann gearbeitet, bis er eineinhalb Jahre später, im Sommer 2009, wieder zurück musste, und auch zurück wollte, denn nun hätten ja bereits nach der damaligen Präsidentschaftswahl die Demonstrationen begonnen. Wieder im Iran fand sich Sohrab schnell auf einer Hochschaubahnfahrt der Gefühle wieder. Auf Freude folgte Angst folgte Hoffnung folgte Enttäuschung. Sohrab fasste den Entschluss, Touch nun selber Musik zu schicken. Mike Harding, den die Musik unmittelbar fesselte, antwortete und war bald ein enger Vertrauter.
Zwangsläufig politisch
Eigentlich hätte er gar keine politische Musik machen wollen, so Sohrab. "An einem bestimmten Punkt ist mir dann aber klar geworden, dass es natürlich einen Unterschied macht, ob man nun im Iran lebt und Musik macht, oder ob man etwa in Amerika lebt und dort Musik macht", führt der Musiker weiter aus. "Wenn man in der Früh nachhause kommt, nachdem man die ganze Nacht lang demonstriert hat; nachdem man verprügelt wurde, dann ist das Musik-Machen einfach anders."
Abstand gewinnen
Der Titel von Sohrabs Debütalbum "A Hidden Place" erzählt von einem stillen Plätzchen in den Bergen an Teherans Stadtrand. Ein gutes Jahr lang, beinahe täglich, oft mehrere Stunden, zog sich Sohrab dorthin zurück, in der Hoffnung, beim Blick über die Stadt Klarheit zu erlangen. "Das Chaos der Demonstrationen, die ganze Situation! Ich hatte einfach das dringende Bedürfnis, von Zeit zu Zeit irgendwo alleine zu sein - um darüber nachdenken zu können, was mit mir geschieht, und was mit den anderen Menschen um mich herum geschieht", so Sohrab. Nur dort oben auf diesem Berg sei es ihm möglich gewesen, zumindest für kurze Zeit Abstand zu gewinnen. Zweimal wurde Sohrab im Zuge der Demonstrationen festgenommen. Zur gleichen Zeit schloss er mit Touch einen Vertrag ab. Der Musiker fasste den Entschluss, den Iran zu verlassen, um diese einmalige Chance, die sich ihm hier womöglich gerade bot, nicht zu verpassen, und weil er das starke Gefühl hatte, andernfalls schon bald in große Schwierigkeiten zu geraten.
Nur einer von vielen
"Das Maß an Zuwendung, das mir von Mike und von anderen Menschen um mich herum derzeit entgegengebracht wird - ich finde gar keine Worte dafür, so groß ist die Bedeutung, die diese Zuwendung für mich hat", zeigt sich Sohrab, dieser so berührend feinfühlige Mensch, zutiefst dankbar. Und er schafft es trotz all der Ängste, Sorgen und Zweifel, die ihm das Leben derzeit so schwer machen, auch noch an die anderen, an seine vielen Leidensgenossinnen und Leidensgenossen zu denken. "Ich bin nicht der einzige, ich bin nur ein Fall von vielen", so der Musiker. "Und ich hoffe, dass ich mit meiner Musik drauf aufmerksam machen kann, dass etwa in Tunesien oder Syrien ganz normale Leute leben, die sich nicht durch ihre Regierungen repräsentiert fühlen. Wir sind ganz normale Leute! Wir schließen Freundschaften, wir machen Musik, wir tun das was auch andere Menschen auf dieser Welt tun. O.K., ich komme aus dem Iran, aber das ist doch eigentlich egal." Wer Sohrab gerne mehr Geld zukommen lassen möchte, als seine Musik und die Remixes seiner Musik kosten, der ist natürlich herzlich eingeladen, das zu tun.
Live in Berlin
Wer am 10. September in Berlin ist, kann Sohrab live erleben - bei einem Gastspiel des musikprotokolls in der ICAS Suite im Rahmen der Berlin Music Week.
Gestaltung: Susanna Niedermayr