Zeit-Ton Magazin. Rückblick, Vorschau und aktuelle Veröffentlichungen. Mit einem Beitrag über den Start des neuen EU-Projektes SHAPE des Festivalnetzwerkes ICAS der International Cities of Advanced Sound, eine Plattform für spannende, neue Projekte aus dem Bereich der - im weitesten Sinne - experimentellen Musik. Beim heurigen CTM Festival in Berlin feierte es seinen Start. Und auch das ICAS Gründungsmitglied ORF musikprotokoll im steirischen herbst ist wieder mit dabei, neben diesmal fünfzehn weiteren Festivals aus Europa.
Ein Ende mit Anfang
Seit 2010 führen wir vom musikprotokoll gemeinsam mit acht weiteren Festivals das von der EU geförderte Projekt „Networking tomorrow's art for an unknown future“ durch. Oft haben wir in den vergangenen fünf Jahren in Zeit-Ton vom Projektverlauf berichtet. Ende April, Anfang Mai wird in Dresden, wo unser Partner-Festival CYNETART zu Hause ist, nun die große Abschlussveranstaltung stattfinden, ein Festival der Festivals, von dem wir in Zeit-Ton noch ausführlich berichten werden. Heute soll aber ein neues ebenfalls von der EU gefördertes Projekt im Zentrum der Aufmerksamkeit stehen, an dem diesmal 16 ICAS Festivals teilnehmen, und auch das musikprotokoll ist wieder mit dabei. Die Rede ist von dem Projekt SHAPE, das beim diesjährigen CTM Festival seinen Auftakt feierte.
Der ausschlaggebende Impuls
Die Initiative ergriffen haben diesmal unsere Kollegen aus Riga und Prag, Viestarts Gailitis und Rihards Endriksons von Skanu Mezs und Michal Brenner von der Meet Factory. „Wir haben uns überlegt, wie es nach dem Ende unseres gemeinsamen fünfjährigen Projektes weitergehen kann, denn es soll natürlich weitergehen“, erzählt Gailitis. „Ganz praktisch gedacht brauchen wir alle Fördergelder, denn diese Art von Kunst generiert kein Geld, oder jedenfalls nicht genug Geld, um ohne Fördermittel auskommen zu können. Wir haben uns also nach Möglichkeiten umgesehen und dabei auch das neue, großartige EU-Programm Creative Europe studiert. Ein Förderprogramm hat uns hier besonders angesprochen, mit dem die EU den Aufbau von Plattformen unterstützen will, die sich dem Austausch von künstlerischen Projekten widmen, die neu und international noch nicht so bekannt sind. Das erschien uns als besonders passend, wohl auch deswegen weil wir - Skanu Mezs und die Meet Factory - im Osten Europas beheimatet sind, und Künstlerinnen und Künstler aus dieser Region noch immer unterrepräsentiert sind, da sie aus der Periphery und nicht aus dem Zentrum kommen.“
Marco Donnarumma, nominiert vom Festival Maintenant, steuerte im Rahmen der CTM Ausstellungseröffnung den Klangerzeugungsprozess in seinem Konzert mit Muskelkraft. Dazu montierte er auf seinem Körper eine Reihe von Sensoren.
Innerhalb nur weniger Wochen
Jedes Jahr findet beim CTM Festival auch ein ICAS Treffen statt, und beim ICAS Treffen vergangens Jahr haben Viestarts Gailitis, Rihards Endriksons und Michal Brenner dann gefragt, wer denn Lust hätte gemeinsam mit ihnen ein Projekt bei besagtem EU-Förderprogramm einzureichen. Tags darauf trafen sich die Interessierten zu einem ersten Brainstorming. Dem folgte ein intensiver email-Verkehr. Weitere Festivals sprangen auf. Während die einen die nötigen Dokumente einsammelten, schrieben die anderen am Antrag. Innerhalb nur weniger Wochen war alles fertig, in einem beeindruckenden Akt der kollektiven Kraftanstrengung, der zeigte, wie sehr wir in den vergangenen Jahren offenbar bereits zusammengewachsen sind.
„Ich glaube es ging vor allem deshalb alles so schnell, weil wir einander vertrauen“, meint darauf angesprochen Michal Brenner. „Wir kennen uns nun schon so lange, seit rund zehn Jahren. Einige der Organisationen, die jetzt mitmachen, haben bis zum Kick-off Treffen in Prag Anfang Dezember nicht einmal gewusst, wie das Projekt strukturiert ist, für dessen Umsetzung sie mit ihrer Unterschrift nun garantieren.“
In Prag laufen die Fäden zusammen
Jedes EU-Projekt braucht einen Hauptantragsteller, sprich jemanden, der das Projekt leitet und das ist diesmal die Meet Factory in Prag, wo unser ICAS Kollege Michal Brenner seit 2010 für die Kuratierung des Musikprogrammes zuständig ist. Davor bzw. daneben hat Brenner - ebenfalls in Prag - von 2006 bis 2011 das Sperm Festival geleitet. Die Meet Factory ist ein mehrstöckiges Kulturzentrum mit einem großen Veranstaltungssaal und drei Galerien im Prager Industriegelände.
„Wir haben ein groß angelegtes Artist-in-Residence-Programm, das größte in Tschechien“, schildert Brenner. „Wir haben fünfzehn Studios, in denen jedes Jahr rund 50 Künstlerinnen und Künstler arbeiten und wohnen. Und ich bin also für das Musikprogramm zuständig. Wir haben rund 90 Veranstaltungen im Jahr, etwas mehr als die Hälfte davon sind Konzerte, der Rest Partys. Und obwohl ich kein eigenes Festival mehr habe, bin ich mit den ICAS Kolleginnen und -Kollegen weiterhin in Kontakt geblieben. Auch promote ich immer noch diese Art von Musik.“
Sound, Heterogeneous Art and Performance in Europe
SHAPE heißt also die Plattform für den Austausch von Musik- und Klangkunstprojekten, die wir nun gegründet haben, SHAPE ist dabei nicht nur als das englische Wort für Form oder formen zu lesen, sondern steht auch für „Sound, Heterogeneous Art and Performance in Europe“. Der Austausch ist demokratisch organisiert. Jedes Festival schlägt einige Musikerinnen, Musiker oder Musikprojekte vor, die neu und international noch nicht so bekannt sind. Danach wird gewählt. Jeweils jene drei, die die meisten Stimmen erhalten haben, sind bei SHAPE dabei. Neben Konzerten und Installationen wird es bei jedem der 16 Festivals für Künstler/innen und Publikum auch Vorträge und Workshops geben.
Der Pool der 48
Drei Plätze pro Festival, also drei Mal 16, das ergibt einen Pool von 48 Musikerinnen, Musikern, Bands und Musikprojekten im Schnittbereich zu den angrenzenden Künsten, wie etwa audiovisuelle Performances oder Klanginstallationen. Vom musikprotokoll nominiert und von unseren Partner-Institutionen in den Kreis der 48 aufgenommen wurden: Vinzenz Schwab, Ulrich Troyer und Pasajera Oscura, das neue Duo von chra und irradiation. Jedes Festival wird in den kommenden Monaten jeweils Neun aus dem Kreis der 48 einladen. Dabei wird SHAPE, ganz seinem Namen entsprechend, eine immer wieder neue Form annehmen, wie Rihards Endriksons näher ausführt. „Jede Institution trifft zugeschnitten auf das eigene Festival seine ganz persönliche Auswahl“, so unser ICAS Kollege. „Die Zusammenstellung der besagten Neun wird also immer wieder anders sein und so wird auch SHAPE von Stadt zu Stadt einen immer wieder anderen Eindruck beim Publikum hinterlassen.“
Verschiedene Facetten
Und wer verfolgt, eben wie sich SHAPE von Festival zu Festival immer wieder verändert, der wird wohl auch bei dem/der einen oder anderen Künstler/in unterschiedliche Facetten entdecken. Der zentrale Knotenpunkt für alle Aktivitäten wird die SHAPE Website sein, - für uns, die wir das Projekt realisieren, für das Publikum, für die Presse, für alle anderen Interessierten und natürlich für die teilnehmenden Künstler/innen. Auf drei Jahre ist unser gemeinsames Plattform-Projekt angelegt. Nach jeweils zwölf Monaten, also drei Mal in diesem Zeitraum, wird ein neuer Pool der 48 gewählt werden. „Und nachdem es also jedes Jahr 48 Künstlerinnen, Künstler und Kunstprojekte geben wird und das beinahe so viele sind wie das Jahr Wochen hat, haben wir uns gedacht, dass es jede Woche einen SHAPE Artist of the week geben soll“, ergänzt Michal Brenner. Und wir werden Ihnen jede Woche im Zeit-Ton Magazin den SHAPE Artist of the week vorstellen.
Ö1 Zeit-Ton
Mittwoch, 11. Februar 2015 | 23:03
Gestaltung: Susanna Niedermayr.