3.-6.10. und 12.10.2013 in Graz
Unterwegs in die unendlichen Weiten denkmöglicher Klangwelten erkundet das ORF musikprotokoll noch zu erforschende akustische Territorien und Lebensformen. Papageien zum Beispiel. Sie sind die Rezipienten der Sounds des Künstlerkollektivs alien productions, in dessen Projekt „metamusic“ die Beziehung zwischen Kunst und Natur radikal gedacht wird: Tiere – nicht Menschen – haben die Kontrolle über eine Soundskulptur beim heurigen ORF musikprotokoll. Natur und Artefakt. Mensch und Objekt. Kunst und Körper. Materie und Virtual Reality. Kosmos und Ephemera. Himmel und Erde.
Das musikprotokoll als 45-jährige Geschichte der Liaisons dangereuses. Und auch 2013 wurden gewagte Erstbegegnungen eingefädelt, u.a. die des Elektronikmusikers und Produzenten Patrick Pulsinger mit dem RSO Wien.
Bespielt wird Radio Ö1, das Netz und die Stadt Graz: Innen und außen, oben und unten. Wir bewandern den Schlossberg, erforschen die Stollen darunter, besuchen die Murinsel, lassen die St. Andrä-Kirche von Maschinen bespielen. Ubiquität von Musik. Multikontextualität von Musik. Ein Motiv, das die Mitglieder des europäischen Festivalnetzwerks ECAS und somit auch das musikprotokoll 2013 abstecken. Was allerdings wirklich alles geschehen wird im Raumschiff der musikalischen Beziehungen ist offen. Weil zeitgenössische Kunst beim musikprotokoll in riskanten Beziehungen lebt.
Kuratiert von: Elke Tschaikner (A), Susanna Niedermayr (A), Christian Scheib (A)
Sehnsuchtsort musikprotokoll
Statement des Komponisten Georg Nussbaumer auf http://rettetdasmusikprotokoll.mur.at
Zum Glück wurde der Stephansdom nicht 50 Jahre nach seiner Errichtung schon wieder abgetragen. Nicht für alle mag dieser Vergleich hinken: Wer war schon öfter beim musikpro- tokoll (live oder in Ö1) als im Stephansdom? Diese Frage darf aber erst in ca. 600 Jahren gestellt werden, ungefähr dann, wenn das John-Cage-Projekt in Halberstadt sich seinem Ende zuneigt! Wagners, Mahlers – oder Ligetis(!) – einst unmögliche Musik: Unbe- darfte halten sie heute für Filmmusik zu einem Hollywoodstreifen, den sie gerade nicht kennen. Oder der gesellschaftszersetzende Surrealismus: Heute selbstverständliche und wirkungsmächtige Strategie globaler Werbe- ästhetik. Jahrzehnte und länger dauert es, bis waghalsige Entdeckungen und Entwicklungen an den Rändern des Gewohnten von diesen Rändern in die Mitte wandern. Nicht weil man sich daran gewöhnt, sondern weil sie den neuen Konsens überhaupt erst vorbereiten, bauen. Schrittchen für Schrittchen. Das Tempo nimmt ohnehin zu: Ein „Neutöner“ wie John Cage wird schon mit seinem 100er geradezu zu einer Life-Style-Ikone, die uns postfreudiani- schen Verzweiflungstätern und Depressions- konsumenten aus der Neuen Welt die Leichtig- keit herüberhaucht. Mahlers Vision war gewiss nicht die Filmmusik zu Harry Potter. Wir wissen heute wogegen er sich mit seinen zerrissenen Symphonien stemmte. Seine Ästhetik bleibt historisch interessant und auch bewegend – als zivilisatorisches Werkzeug hat sie aber ausgedient.
Neue Gesellschaften brauchen neue Werk- zeuge. Und die werden nun mal in Elfenbein- türmen entwickelt – in der Kunst genauso wie in der Wissenschaft, der Medizin, der Technik, der Philosophie. In diesen Elfenbeintürmen sind – Demokratie sei Dank – Besucher willkommen. Das ist gar keine lästige Pflicht. Auch Haydn hätte sich schon gefreut, wenn jeder Wiener zur Schöpfung ins Palais Schwarzenberg hätte kommen können und dürfen. Dies – ohne ihn wirklich zu erwähnen – mein kurzes Plädoyer für die Erhaltung (wenn nicht Erweiterung!) eines Elfenbein-Leucht- turms, den nicht nur KomponistInnen sondern auch die vielen InterpretInnen benötigen – nicht zuletzt als Korrektiv zu der weitgehenden Impotenz der Musikuniversitäten am Zeitge- nössischen und Zukünftigen. Ein Leuchtturm, der Sehnsuchtsort ist für KünstlerInnen aus anderen Ländern, die keine selbsternannten Musikländer sind: das musikprotokoll.
Und dann sind da noch die HörerInnen, die mitgehen, mithören wollen – bei der flüchtig- sten Kunst die es gibt! Die, die nicht viel brauchen – außer ihren Ohren: Und wer hört, ist auch sonst nicht hörig, sondern hellhörig!
Wagen wir es, das nicht zu wollen? Wurde das Genom im Musikantenstadel entschlüsselt?
Georg Nussbaumer
Ein ABC für das musikprotokoll
In den vergangenen Monaten haben sich Menschen aus aller Welt via http://rettetdasmusikprotokoll.mur.at zu diesem Festival geäußert.
Attersee Christian Ludwig, Künstler, Österreich
Breth Andrea, Regisseurin, Österreich
Cerha Friedrich, Komponist, Österreich
Diederichsen Diedrich, Hochschullehrer, Autor, Deutschland
Einem Caspar, Engagierter Pensionist, Österreich
Flury Dieter, Flötist Wiener Philharmoniker, Österreich
Guth Claus, Regisseur, Deutschland
Hinterhäuser Markus, Intendant der Wiener Festwochen, Österreich
Iverac Ana, Flute Teacher, Kroatien
Jelinek Elfriede, Autorin, Österreich
Kusej Martin, Regisseur, Österreich
Levy Malcolm, Director, Kanada
Metzmacher Ingo, Dirigent, Deutschland
Niblock Phil, Artist, USA
Ortner Erwin und die Damen und Herren des Arnold Schönberg Chores, Österreich
Pountney David, Intendant, Großbritannien
Quiñones, Aenne, Kuratorin & Stellv. Künstlerische Leitung Hebbel am Ufer, Deutschland
Rihm Wolfgang, Komponist, Deutschland
Schmied Claudia, Bundesministerin für Unterricht, Kunst und Kultur, Österreich
Torres Federico, Music Producer, Mutek Fetival, Chile
Umstätter Brigitta, Geschäftsführerin Gerold-Verlag, Österreich
Vos Wim, Musiker, Niederlande
Welser-Möst Franz, GMD der Wiener Staatsoper, Österreich
Xenia Groh-Hu, Musikmanagerin, Deutschland
Yi it Can Eyüboğ lu, Komponist, Türkei
Zinggl Wolfgang, Abgeordneter zum Nationalrat, Österreich