Das Thema des diesjährigen Berliner CTM Festivals stand bereits vor dem Sommer 2015 fest, also bevor sich Anfang September tausende verzweifelte Flüchtlinge in Budapest auf einen Fußmarsch in Richtung Österreich und Deutschland begaben, nachdem ihnen der Zugang zum Zugverkehr verwehrt wurde. Umso entschlossener war schließlich der Ton im einleitenden Text: "Vor dem Hintergrund globaler Konfliktsituationen, in deren Zentrum die auf allen Ebenen und zunehmend radikal geführte Auseinandersetzung um Grenzziehungen und -auflösungen steht, möchte CTM 2016 mit dem Thema "New Geographies" Erfahrungs- und Reflexionsräume für Musiken schaffen, die essentialistischen Kulturvorstellungen eine Absage erteilen und dazu beitragen, der Vielfalt einer zunehmend polyzentrischen, polychromatischen und hybriden (Musik)Welt mit größerer Empathie und Offenheit zu begegnen." Dazu haben sich die Festivalmacher unter anderem die Betreiber/innen von Norient eingeladen, die hier seit vielen Jahren Pionierarbeit leisten.
Norient
Mit seiner 2002 gegründeten Musikplattform öffnete der in Bern beheimatete Musikjournalist und Musikethnologe Thomas Burkhalter ein Tor zur Welt. Das Herzstück von Norient ist ein Internet-Magazin, in dem Medien- und Kulturschaffende sowie Wissenschafter/innen über musikalische und kulturelle Strömungen und Entwicklungen jenseits der westlichen Metropolen berichten, mit einem stets kritischen Bewusstsein für die soziomusikalischen Verhältnisse und einer ausgeprägten Liebe zur Nische. Das Norient-Team organisiert und kuratiert aber auch Veranstaltungen sowie Konzert-, Vortrags- und Filmreihen. Und soeben ist das zweite Buch "Seismographic Sounds. Visions of a New World" von Norient erschienen, das beim CTM Festival mit einer begleitenden Ausstellung präsentiert wurde. Norient hat auch das heurige Diskursprogramm co-kuratiert. Gemeinsam werden wir versuchen, eine erste Kartografierung dieser neuen polyzentrischen, polychromatischen und hybriden (Musik)Welt vorzunehmen.
Koordinatensystem für eine neue Welt
Buch und Ausstellung sind in sechs Themenkomplexe gegliedert: Money, Loneliness, War, Exotica, Desire und Belonging. Diese möchten wir in dieser ICAS Radio Ausgabe gemeinsam mit unseren Gästen näher beleuchten, sie spannen ein mögliches Koordinatensystem auf, das vielleicht dabei helfen kann, diese neue polyzentrische Musikwelt besser zu begreifen. Voraufzeichnen konnten wir unsere Sendung dankenswerter Weise wieder im Studio des Berliner Künstlerradios reboot.fm. Dort zur gemeinsamen Diskussion besucht haben uns eben Thomas Burkhalter, CTM 2016 Co-Kurator Rabih Beaini, Stanislav Sharifullin, der vergangenen September CTM Sibiria ebendort co-kuratiert hat und unsere beiden ICAS Kollegen Martin Craciun (SOCO Festival, Montevideo) und Chico Dub (Novas Frequencias Festival, Rio de Janeiro). Ebenfalls vorbeigeschaut haben Sky Deep und Hevi, um die Solidaritätsaktion des Female Pressure Netzwerkes für die Frauen im syrisch/kurdischen Rojava vorzustellen. Und es gibt einen Ausschnitt aus der neuen Komposition "For the Red Right Hand" von Rabih Beaini zu hören, mit der der neuntägige Konzertreigen am 30. Jänner im Hebbel am Ufer eröffnet wurde, ein Stück für sechs Musiker/innen mit jeweils herausragender musikalischer Handschrift, für nämlich Tommaso Cappellato, Daniele De Santis, Liz Albee, Mazen Kerbaj, Sam Shalabi, Sofia Jernberg und Rully Shabara.
ICAS Radio. New Geographies.
Susanna Niedermayr gemeinsam mit Oliver Baurhenn.
Freitag, 12. Februar 2016 | 23:03