Wenn man die globalen Entwicklungen im Bereich der Musik im Verlauf des 20. Jahrhunderts betrachtet, kann man diese auch als Exponentialkurve beschreiben, deren „Knie“ beziehungsweise Krümmung in direktem Zusammenhang mit der technologischen Entwicklung steht. Elektronische Aufzeichnung, Magnetband und zunehmende Digitalisierung haben unsere Vorstellungen, wie Musik produziert und gehört wird, für immer verändert.
Musikalische Innovationen lassen sich anhand dieser Kurve oft auf klangliche Referenzen und Einflüsse zurückführen – selten nur liegt die unmittelbare Ursache für musikalisch Neues in theoretischen oder technischen Entwicklungen. Die Praxis geht der Theorie voraus, vor allem aber ist es das Hören, das Ideen hervorbringt.
Wenn ich hingegen arabische Musik betrachte, habe ich oft das Gefühl, dass dieser steile Anstieg der Kurve der Veränderung und Entwicklung durch ständige gesellschaftspolitische Konflikte gedrosselt und behindert wurde. Es ist nicht einfach, eine kritische Distanz zu unbewusst wiederholten Denkmustern zu entwickeln, in denen koloniale Machtstrukturen fortbestehen, aber selbst wenn man sich dieser Verzerrungen bewusst ist, hat man immer noch das Gefühl, dass in der Kette mehrere Bindeglieder fehlen.
Darüber hinaus wird Musiksoftware zumeist aus einer anglo-europäisch zentrierten Perspektive entwickelt, sodass jeder progressive Ansatz in der nicht-westlichen Musik, der durch die technologische Entwicklung vorangetrieben werden könnte, ins Stocken gerät. Somit werden nicht-westlichen Musikproduzent/innen genau jene spezifischen musikalischen Referenzen vorenthalten, die dazu beitragen, eine lokale „Einflusskette“ zu schaffen.
Im Verlauf meiner musikalischen Forschung und Praxis habe ich herausgefunden, dass auf der ganzen Welt eines der wesentlichen Elemente musikalischer Identität – neben Sprache und Rhythmus – die Stimmung (Mikrotonalität, Intonation usw.) ist. In meinem Bestreben, einen kreativen Weg in diese Richtung zu gehen und gleichzeitig computerbasierte Tools einzusetzen, habe ich einen Max/MSP-Patch für Ableton Live entwickelt, der Comma heißt.
Comma wurde von Charles Matthews und John „Jhno“ Eichenseer in mehreren Phasen programmiert und erlaubt es, modale/skalenbasierte mikrotonale Stimmungen einzusetzen und in Echtzeit zu manipulieren. Als es schließlich einen funktionierenden Prototyp gab, war das Erste, was ich tat – abgesehen davon, dass ich ausgeflippte mikrotonale „taqasīm“ auf software-modellierten Minimoogs und SH-101 Synthesizern spielte –, eine digitale Version von Terry Rileys Klassiker In C zu erstellen und mit Comma auf den arabischen Modus „maqām rāst“ umzulegen.
In C basiert auf der C-Dur-Tonleiter. Der arabisch-osmanische Modus maqām rāst ist ähnlich aufgebaut, enthält jedoch anstelle einer großen Terz eine sogenannte neutrale Terz, ein mikrotonales Intervall, das zwischen ‒30 und ‒45 Cent von einer gleichstufig temperierten Terz abweichen kann und charakteristisch für Musik aus Nordafrika und dem Nahen Osten ist.
Ich wollte nicht das Rad neu erfinden, sondern entschied mich dafür, zu experimentieren und Rileys Komposition neu zu interpretieren, um eine spezifische musikalische Referenz dafür zu schaffen, was maqām-basierte Musik sein kann. Das Ergebnis scheint großes Potential zu haben, ist es doch eine Summe aus vielen Teilen.
Um mit Morton Feldman zu sprechen: „Jetzt, wo die Dinge so einfach sind, gibt es so viel zu tun.“