Mikroskopisches Schallwellentheater einarmiger Banditen
Der Komponist Alvin Lucier, heuer 85 Jahre alt geworden, schreibt ein vollkommen neues Stück für das musikprotokoll 2016. Und er kommt auch nach Graz, gibt eine Lecture, betreut seine Uraufführung. Das ist zugleich auch ein Blick zurück in die Zukunft dieses Festivals. Erst zweimal war Alvin Lucier zu österreichischen Festivals mit einer Personale eingeladen: Zum musikprotokoll 1995 und zu den Salzburger Festspielen 1999. Nach mehr als zwanzig Jahren freuen wir uns sehr über Alvin Luciers Rückkehr nach Graz. Aber beginnen wir – Alvin Lucier zu Ehren – beim Hinterfragen, beim Wort „Komponist“. com-ponere: Die Übertragung dieses lateinischen Begriffes wurde in Europa zum Wort für den Beruf der Tonsetzer. Das Zusammen-Setzen mehr oder weniger vorgegebener Bausteine – von Tönen, Klangfarben, Rhythmen – ist deren Beruf. Sich dies bewusst zu machen, schärft die Wahrnehmung. So betrachtet ist Alvin Lucier nämlich kein Komponist. Bauklötze zusammenzusetzen ist nämlich seine Sache nicht. Ganz im Gegenteil. Seine Sache ist es, die Bauklötze so lange zu hinterfragen, bis daraus Musik entsteht. Dann erzeugen Hirnwellen Perkussionsmusik und Drähte selbsttätig ein Endlossummen, Schallwellen beginnen miteinander zu spielen, Luciers Stimme durchmisst Räume und löst en passant dabei auch noch Sprache auf. All das passiert in ikonischen Werken wie Music On A Long Thin Wire, Music For Solo Performer, I Am Sitting In A Room und Navigations For Strings.
Für das musikprotokoll 2016 macht sich der 85jährige „Komponist“ nun noch einmal auf eine neue Reise. Die ersten Gespräche darüber fanden gemeinsam mit dem Cellisten Charles Curtis und Alvin Lucier statt. Und die Gespräche waren – für jemanden, der Alvin Luciers Werk kennt – eigentlich recht irritierend. Lucier und Curtis würden damit experimentieren, was die Bogenhand des Cellisten so tue, erzählten sie. Nun war die körperliche Gestik der Musiker in den vergangenen Jahrzehnten noch nie von besonderem Interesse in Luciers Werken. Ganz im Gegenteil: Seine Musik ist eher mikroskopisches Schallwellentheater, denn real physische Körperperformance. Irgendwann verriet Alvin Lucier den Titel des kommenden Stücks: One-Armed Bandits. Und er verriet auch, dass die zu einarmigen Banditen gemachten vier Cellisten tatsächlich nur mit jeweils einem Arm, mit der Bogenhand, spielen werden. Auf leeren Saiten. Und auf der Suche nach minimalen Tonhöhenveränderungen durch spieltechnische Variationen von Anpressdruck oder Bogengeschwindigkeit.
Es wird es also doch geben: Das total reduzierte, mikroskopische Schallwellentheater.