„In der Natur registriert jedes Lebewesen seine klangliche Umgebung. Tiere lauschen, um ihre Artgenossen wahrzunehmen, ihre Beute akustisch zu orten oder um ihre räuberischen Feinde auszumachen. Da also ihr Leben davon abhängt, würde es keine Kreatur wagen, einen Laut von sich zu geben, ohne vorher die Umgebung mit dem Gehör aufzunehmen. Ihre Ohren sind eine Antenne, mit der sie die Welt empfangen. In unserer Kultur hingegen hört niemand richtig hin. Vor unliebsamen Klängen schirmen wir uns ab. Wir setzen Kopfhörer auf, schließen die Türe, schalten auf einen anderen Kanal um oder blenden akustische Gegebenheiten einfach aus. Unsere Antennen sind nicht in Betrieb. Und da niemand auf die Klänge der Umgebung achtet, werden sie immer hässlicher, greller und unnatürlicher, wodurch die Kultur dann noch weniger hinhört. Aus diesem Grund gibt es immer mehr Menschen, die ohne zu überlegen einfach anderen folgen – sie hören nie hin, und sind doch immer zu hören, weil die Blätter rascheln. Nie finden sie ihre Beute und nie nehmen sie ihre Feinde wahr. Das ist sehr gefährlich.“ (Bunita Marcus, 1999)
Nach dem musikprotokoll werden die Environmental Auditors am 23. Oktober in Tromsø das Hafengelände musikalisch erkunden, um dann zwei Tage später im finalen Radiomix für die ICAS-Radio-Show vom Insomnia Festival in Ö1 Zeit-Ton-Extended beide Städte zusammenklingen zu lassen.
>>> environmental auditors mix Der Radio Mix der Environmental Auditors für ICAS Radio in dem Graz und Tromso zusammenklingen.
Susanna Niedermayr im Gespräch mit Daniel Lercher.
Susanna Niedermayr: Im Zentrum des Projektes steht das Hören ...
Daniel Lercher: Es gibt viele verschiedene Arten zu hören. Im 20. Jahrhundert fand eine Konjunktur der Geräusche in vielen westlichen Musikformen statt. Dadurch hat sich das Hören verändert. Man nimmt seine Umgebung heute anders wahr, indem man sie anders hört. Man trennt nicht mehr zwischen Musik und Geräusch, sondern hört beides zusammen. Und ich finde es total wichtig, dass man auf seine Umwelt hört.
SN: Warum ist Dir das so wichtig?
DL: Ich glaube, dass wir unsere Umwelt immer weniger wahrnehmen. In unserer Gesellschaft gibt es immer mehr Inputs von außen, akustische und auch visuelle. Um das nervlich auszuhalten, müssen wir sensorische Filter aktivieren. Deshalb finde ich das bewusste Hören so einen wichtigen Punkt, weil wir reflektieren sollten, in welcher Umgebung wir leben. Dann spüren wir besser, was für uns gut ist und was für uns nicht gut ist. Nur so können wir gegen die Reizüberflutung ankämpfen. Wenn wir hier kein Bewusstsein entwickeln, dann wird die Reizüberflutung immer schlimmer werden und das ist, glaube ich, sehr schlecht für uns.
SN: Wie gestaltet sich das musikalische Zusammenspiel mit der klingenden Umwelt?
DL: Die Umwelt ist wie ein zusätzlicher Musiker, auf den man ebenfalls hören muss, wobei das Klanggeschehen hier vielschichtiger ist. Es ist also ein sehr konzentriertes Hören auf das, was gerade passiert. Darauf reagiert man dann.
SN: Löst die Auseinandersetzung mit der klingenden Umwelt im unmittelbaren musikalischen Schaffensprozess auch etwas aus, das einem in der klassischen Konzertsituation vielleicht nicht zugänglich ist?
DL: Spannend ist, wie die Umwelt auf die Musik reagiert, weil es ja immer eine Wechselbeziehung ist. Das können Menschen sein, die – im Gegensatz zur klassischen Konzertsituation – nicht auf die Musik vorbereitet sind. Es können aber auch Tiere sein.
SN: Welche neuen Möglichkeiten eröffnet diese Form der Publikumsbegegnung?
DL: Vielleicht ist es für die Menschen einfacher, in die klangliche Welt einzutauchen, wenn sie hören, wie wir diese in unsere Musik einbinden. Die Situation im Konzertsaal ist so steril und abgegrenzt. Und ich glaube, auch die freie Improvisation wird so für das Publikum greifbarer.
SN: Was war Dir bei der Zusammenstellung der Gruppe wichtig? Nach welchen Kriterien hast Du die MusikerInnen ausgewählt?
DL: Alle sind herausragende MusikerInnen, die sich bereits viel mit freier Improvisation auseinandergesetzt haben und die auch sehr sensibel sind für das, was um sie herum akustisch passiert. Und alle haben die klingende Umwelt bereits in ihre Musik miteinbezogen. Sechs MusikerInnen werden akustische Instrumente spielen und dann wird es noch zwei Elektroniker geben, wobei auch die elektronischen Instrumente wie akustische eingesetzt werden sollen. Es wird keine PA aufgebaut werden und es wird auch nicht diese typische Stereosituation geben. Ich stelle mir den Einsatz der Elektronik eher punktuell vor. Das Schöne am draußen Spielen ist ja auch, dass man sich bewegen kann; dass man nicht an eine Bühne gebunden ist. Dadurch wird die Musik räumlicher.