Jeder Asteroid am Himmel hat eine eigene Seriennummer und einen eigenen Namen, wobei der Asteroid 62 nach Erato, der Muse der lyrischen Dichtung benannt ist. Davon abgeleitet ist Asteroid 62 der innere Dialog eines Poeten über seine Liebe – ein Dialog, der über das Leben und die Kunst spricht. Auf der Bühne erscheinen vier Charaktere dieses poetischen Textes. Sie repräsentieren Abbilder von Männlichkeit und Weiblichkeit, welche durch die Erinnerungen an Liebe und Trennung miteinander verbunden sind. Mann 1 begreift Trennung als den eigentlichen Tod eines Menschen, Mann 2 empfindet Trennung als eine Bestrafung des Schicksals. Frau 1 versucht ihre Liebe durch betonte Körperlichkeit wiederzuerlangen, für Frau 2 ist die Liebe eine ferne Erinnerung, irgendwo zwischen realem Leben und Einbildung verharrend.
Der wahre Protagonist der Oper ist jedoch der lyrische Text selbst. Zunächst zeigt er sich in getrennten Abschnitten in Form von Monologen, geformt aus poetischen Bildern (1. Szene). Die handelnden Personen versuchen darin, ihre Zersplitterung zu überwinden. Dann, indem sich der Text in eine Art Kinderreim verwandelt (2. Szene), fällt die Entscheidung, wer schließlich den Text in seiner Vollständigkeit zusammenhängend als Erste/r präsentieren wird (3. Szene). Die Wiederherstellung der Textintegrität wird dabei als physiologischer Akt dargestellt: Der Text löst sich in Phoneme und Artikulationen auf, gerade so als würde er einer Wiedergeburt unterzogen. Der Unvorhersehbarkeit poetischer Sprache Rechnung tragend, hat die Oper kein Standard-Finale. Vielmehr ermöglicht die Episode der Kinderreime in der zweiten Szene jedem der vier Charaktere in jeder neuen Vorstellung, zum ersten Erzähler der abschließenden Sequenzen zu werden. Das Publikum könnte somit in jeder neuen Aufführung eine andere Abfolge der vier Finali zu sehen bekommen.
Ein ähnlicher Prozess ereignet sich in der Musik. Die erste Szene stellt für jeden Einzelnen der Charaktere unabhängige musikalische Sprachen vor. Diese Sprachen zeigen sich in vier Monologen, die in Zeit und Raum voneinander getrennt stattfinden. Jeder Stimme ist dabei eine eigene Gruppe von drei Instrumenten zugeteilt. Dadurch ergibt sich eine Abfolge von vier unabhängigen Quartetten (Stimme plus Instrumental-Trio), die einander abwechseln und so die Entwicklungslinien jedes einzelnen Monologs immer wieder unterbrechen. Eine während der gesamten Oper präsente Gruppe von Akkordeon und Perkussionisten dient dabei als verbindendes Element.
In der zweiten Szene verschmilzt das Material der vier Charaktere, indem sie sich den selben Text teilen. Daran schließt sich die Episode der „Wiedergeburt des Textes“ an. Sie kann als eine Art Verpuppung aufgefasst werden – die Sprache wird auf ursprüngliche gutturale Klänge reduziert, die um ihre Befreiung ringen. Die Laute ziehen sich dabei auf die Ursprünge von Artikulation schlechthin zurück: auf die Lungen und den Kehlkopf der Solistinnen und Solisten sowie auf die Körperbewegungen der Musikerinnen und Musiker. Diese „Ur-Klänge“ und deren ursprüngliche körperliche Voraussetzungen werden hier zum musikalischen Material. Schließlich bilden die vier abschließenden Arien eine Art eigenständiges Schluss-Stück (3. Szene), in dem sich das gesamte Orchester den Parts der vier Gesangssolisten unterwirft.